Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
besitzen schien. Wie ich schon erzählt habe, kommt man gern zu mir, wenn man in Depressionen zu versinken droht. Pimli Prentiss, der Oberaufseher, hat Tanya und Joey Rastosovich getraut – hat darauf bestanden, wollte keine Einwände hören, hat gesagt, das sei sein Vorrecht und seine Pflicht, darin gleiche er dem Kapitän eines alten Kreuzfahrtschiffs –, und sie haben ihm natürlich seinen Willen gelassen. Aber danach sind sie in meine Wohnung gekommen, und Tanya hat gesagt: ›Du musst uns trauen, Ted. Dann sind wir richtig verheiratet.‹
Und manchmal frage ich mich: ›Hast du geglaubt, das sei alles? Hast du, bevor du dich mit Trampas angefreundet und ihn jedes Mal belauscht hast, wenn er die Mütze abgenommen hat, um sich zu kratzen, wirklich geglaubt, ein wenig Mitleid und ein wenig Liebe in deiner Seele seien die einzigen Unterschiede zwischen dir und den anderen? Oder hast du dich auch in diesem Punkt selbst betrogen?‹
Ich weiß es nicht bestimmt, aber vielleicht kann ich mich in diesem Anklagepunkt freisprechen. Ich verstand wirklich nicht, dass mein Talent weit über Sondieren und Brechen hinausging. Ich bin wie ein Mikrofon für einen Sänger oder Steroide für einen Muskel. Ich … wirke anregend. Es gibt eine Einheit für mentale Kraft – nennen wir sie Dark, okay? Im Studiersaal erzeugen zwanzig bis dreißig Leute ohne mich etwa fünfzig Darks pro Stunde. Mit mir? Da springt die Erzeugung auf vielleicht fünf hundert Darks pro Stunde. Und das tut sie augenblicklich.
Indem ich Trampas’ Gedanken belauscht habe, ist mir klar geworden, dass sie mich für den Fang des Jahrhunderts hielten, vielleicht für den besten Fang aller Zeiten, den einzigen wirklich unentbehrlichen Brecher. Ich hatte ihnen schon geholfen, einen Balken zu zerbrechen, und verkürzte ihre Arbeit an Shardiks Balken um Jahrhunderte. Und wenn Shardiks Balken bricht, Lady und Gentlemen, hält auch Gans Balken nicht mehr lange. Und wenn dieser letzte Balken bricht, fällt der Dunkle Turm, die Schöpfung ist zu Ende, und das Auge der Existenz wird blind.
Wie ich’s jemals geschafft habe, Trampas daran zu hindern, meine Verzweiflung zu sehen, weiß ich nicht. Dabei habe ich Grund zu der Annahme, dass mein Pokergesicht vielleicht doch nicht ganz so undurchdringlich war, wie ich immer dachte.
Ich wusste, dass ich von hier fort musste. Und damals kam Sheemie zum ersten Mal zu mir. Ich glaube, er hat die ganze Zeit meine Gedanken gelesen, aber ich weiß es nicht sicher, und Dinky ist sich darüber ebenfalls nicht im Klaren. Ich weiß nur, dass er eines Abends in meine Wohnung kam und mir in Gedanken erklärte: ›Wenn Ihr wollt, mache ich Euch ein Loch, Sai, und Ihr könnt davontanzen.‹ Als ich ihn gefragt habe, was er damit meine, hat er mich nur angesehen. Komisch, wie viel ein einziger Blick sagen kann, was? Beleidige meinen Verstand nicht. Vergeude meine Zeit nicht. Vergeude deine eigene nicht. Das alles las ich nicht in seinen Gedanken, sondern auf seinem Gesicht.«
Roland grunzte etwas Zustimmendes. Mit leuchtenden Augen fixierte er weiter die sich drehenden Spulen des Tonbandgeräts.
»Ich fragte ihn jedoch, wo das Loch rauskommen würde. Er antwortete, das wisse er nicht – ich würde auf mein Glück vertrauen müssen. Trotzdem überlegte ich nicht allzu lange. Ich hatte Angst, dass ich sonst Gründe finden würde, die fürs Bleiben sprachen. Ich sagte: ›Also los, Sheemie – lass mich davontanzen.‹
Er schloss die Augen und konzentrierte sich, und plötzlich verschwand eine Ecke meines Zimmers. Ich konnte Autos vorbeifahren sehen. Sie waren verzerrt, aber richtige amerikanische Wagen. Ohne große Debatte oder Zweifel stürzte ich mich darauf. Ich versuchte es einfach. Ich war mir nicht völlig sicher, ob es mir gelingen würde, in diese andere Welt zu gelangen, aber ich war an einem Punkt angelangt, an dem mir das schon fast egal war. Ich hatte das Gefühl, nichts Besseres tun zu können, als zu sterben. Das würde ihr Zerstörungswerk zumindest verlangsamen.
Und kurz bevor ich den entscheidenden Schritt wagte, forderte Sheemie mich in Gedanken auf: ›Ihr müsst versuchen, meinen Freund Will Dearborn zu finden. Sein wirklicher Name ist Roland. Seine Freunde sind tot, aber er nicht, weil ich ihn nämlich hören kann. Er ist ein Revolvermann, und er hat neue Freunde. Bringt sie her, dann sorgen sie dafür, dass die bösen Kerle dem Balken nicht länger schaden, genau wie er Jonas und seine Freunde daran gehindert
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