Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Auswaschungen und Senken und Risse, dort gibt es reichlich Stellen, in die man die Finger stecken und Halt finden kann, manchmal zerrt man daran, und manchmal spürt man, wie man sich in ihn hineinwindet wie ein Säuretropfen, der denken kann. Alle diese Empfindungen sind in höchstem Maß angenehm. Sexy.
Und für Ted gibt es darüber hinaus noch etwas anderes, obwohl er nicht weiß, dass er diese Gabe besitzt, bis Trampas es ihm erzählt. Trampas will ihm eigentlich nichts erzählen, aber er hat nun einmal dieses schlimme Ekzem, und das ändert alles. Schwer zu glauben, dass der Dunkle Turm durch eine schuppige Kopfhaut gerettet worden sein könnte, aber diese Vorstellung ist nicht gänzlich abwegig.
Überhaupt nicht abwegig.
10
»Im Algul arbeiten ungefähr hundertachtzig Vollzeitbeschäftigte«, sagte Ted. »Ich bin keiner, der andere belehrt, wie sie ihre Arbeit tun sollen, aber das ist etwas, was ihr euch aufschreiben oder wenigstens merken solltet. Das sind überschlägig sechzig pro Achtstundenschicht, wobei jede Kategorie mit rund zwanzig vertreten ist. Weil Taheen die schärfsten Augen haben, bemannen sie im Allgemeinen die Wachttürme. Humes patrouillieren entlang dem äußeren Zaun. Mit Schusswaffen, versteht sich – harten Kalibern. Ganz oben stehen Prentiss, der Oberaufseher, und Finli o’ Tego, sein Sicherheitschef – Hume beziehungsweise Taheen –, aber die Springer sind meistens Can-Toi … also niedere Männer.
Die meisten niederen Männer kommen nicht gut mit den Brechern aus; eine gewisse steife Kameradschaftlichkeit ist alles, wozu sie imstande sind. Dinky hat mir einmal erzählt, dass sie neidisch auf uns sind, weil wir ›fertige Humes‹ sind, wie er’s ausgedrückt hat. Wie die Hume-Wachen tragen auch die Can-Toi im Dienst Denkerkappen, sodass wir ihre Gedanken nicht sondieren können. Tatsächlich haben die meisten Brecher seit Jahren nicht mehr versucht, außer dem Balken etwas oder jemanden zu sondieren, und können das vielleicht auch gar nicht mehr; der Verstand ist nichts anderes als ein Muskel, der wie jeder andere verkümmert, wenn man ihn nicht gebraucht.«
Eine Pause. Ein Klicken im Lautsprecher. Dann:
»Ich werde nicht zu Ende erzählen können. Was mich enttäuscht, aber nicht völlig überrascht. Was jetzt kommt, wird meine letzte Geschichte sein müssen, Leute. Tut mir Leid.«
Ein leises Gluckern. Trinkgeräusche, da war Susannah sich ganz sicher. Ted trank offenbar wieder etwas Wasser.
»Habe ich euch schon erzählt, dass die Taheen eigentlich keine Denkerkappen brauchen? Sie sprechen fließend Englisch, und ich habe gelegentlich bemerkt, dass sie in beschränktem Umfang zu Gedankensondierungen fähig sind, aber wenn man sich bei ihnen einklinkt, empfängt man nur den Verstand betäubende statische Störungen – weißes Rauschen. Ich war der Ansicht, das komme von irgendeiner Abschirmung; Dinky vermutet, dass das die Art ist, wie sie tatsächlich denken. Jedenfalls haben sie es dadurch leichter. Sie brauchen morgens nicht daran zu denken, dass sie eine Kopfbedeckung aufsetzen müssen, bevor sie aus dem Haus gehen!
Trampas war einer der Can-Toi-Springer. Man konnte ihn an einem Tag die Hauptstraße von Pleasantville entlangschlendern oder mitten auf der Promenade auf einer Bank sitzen sehen – meistens mit irgendeinem Selbsthilfebuch wie Sieben Schritte zu positivem Denken. Am nächsten Tag lehnte er dann vielleicht am Heartbreak House an der Mauer und sonnte sich. Ebenso verhält es sich mit den übrigen Can-Toi. Falls es dabei ein Verhaltensmuster gibt, habe ich es nie enträtseln können; Dinky übrigens auch nicht. Wir glauben inzwischen, dass es gar keines gibt.
Was Trampas immer von allen anderen unterschied, war das völlige Fehlen eines Neidkomplexes. Er ist – oder vielmehr war – tatsächlich freundlich; in mancher Beziehung schien er gar kein niederer Mann zu sein. Bei seinen Can-Toi-Kollegen war er offenbar nicht sonderlich beliebt. Was irgendwie paradox ist, denn falls das Werden, nach dem sie alle streben, wirklich möglich ist, gehört Trampas zu den wenigen, die damit gewissen Erfolg zu haben scheinen. Zum Beispiel mit einfachem Lachen. Das Lachen der meisten niederen Männer klingt, als würde eine Ladung Steine eine Blechschütte runterrasseln; macht einem echt ’ne Gänsehaut, wie Tanya immer sagt. Wenn dagegen Trampas lacht, klingt das zwar ein bisschen hoch, aber sonst ganz normal. Weil er wirklich lacht, glaube ich. Von
Weitere Kostenlose Bücher