Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Stein und Bein schwören, davon war Oy überzeugt.
»Frag Sheemie«, sagte Jake. »Frag Sheemie, was wir seiner Meinung nach tun sollen.«
Roland nickte bedächtig.
Kapitel IX
S PUREN AUF DEM P FAD
1
Als Jake nach einer Nacht voller unruhiger Träume, von denen die meisten im Dixie Pig spielten, erwachte, sickerte mattes, schwaches Licht in die Höhle. In New York hatte solches Licht immer bewirkt, dass er am liebsten die Schule geschwänzt und den ganzen Tag auf dem Sofa verbracht hätte, um Bücher zu lesen, sich Quizsendungen im Fernsehen anzusehen und den Nachmittag zu verschlafen. Eddie und Susannah lagen aneinander geschmiegt in einem gemeinsamen Schlafsack. Oy hatte das für ihn vorbereitete Lager verschmäht, um neben Jake zu schlafen. Er war u-förmig zusammengerollt und hatte die Schnauze auf die linke Vorderpfote gelegt. Die meisten Leute hätten geglaubt, er würde schlafen, aber Jake sah den verstohlenen Goldglanz unter den Lidern des Tieres und wusste daher, dass Oy ihn heimlich beobachtete. Der Reißverschluss am Schlafsack des Revolvermanns war offen, der Schlafsack leer.
Jake dachte einen Augenblick darüber nach, dann stand er auf und ging nach draußen. Oy folgte ihm und trottete lautlos über den festgetrampelten Boden, während Jake den Pfad hinaufging.
2
Roland wirkte abgehärmt, so als ginge es ihm nicht gut, aber er kauerte in der Hocke, und Jake fand, wenn er dazu beweglich genug war, fehlte ihm bestimmt auch nichts weiter. Er hockte sich neben den Revolvermann und ließ die Hände locker zwischen den Oberschenkeln herabhängen. Roland sah zu ihm hinüber, sagte aber nichts und betrachtete dann wieder den Gefängniskomplex, den das Wachpersonal Algul Siento und die Insassen Devar-Toi nannten. Er lag in heller werdendem bläulichem Dunst unter und vor ihnen. Die Sonne – elektrisch, nuklear, was auch immer – schien noch nicht.
Oy ließ sich mit einem kleinen Seufzer neben Jake hinplumpsen und schien sofort wieder einzuschlafen. Aber damit konnte er Jake nicht täuschen.
»Heil. Fröhlich beginne dein Tag«, sagte Jake, als das Schweigen bedrückend zu werden begann.
Roland nickte. »Fröhlich schauen, fröhlich sein.« Er wirkte so fröhlich wie ein Trauermarsch. Der Revolvermann, der in Calla Bryn Sturgis bei Fackelschein eine furiose Commala getanzt hatte, hätte schon tausend Jahre in seinem Grab liegen können.
»Wie fühlst du dich, Roland?«
»Gut genug, um in die Hocke zu gehen.«
»Aye, aber wie fühlst du dich?«
Roland sah zu ihm hinüber, dann zog er seinen Tabaksbeutel aus der Tasche. »Alt und voller Wehwehchen, wie du genau weißt. Möchtest du rauchen?«
Jake überlegte, dann nickte er.
»Es werden aber nur Kurze«, sagte Roland. »In meiner Tasche war vieles, bei dem ich froh war, es zurückbekommen zu haben, aber nur wenig Rauchkraut.«
»Meinetwegen kannst du es auch lieber für dich selbst aufheben.«
Roland lächelte. »Ein Mann, der seine schlechten Angewohnheiten nicht gut mit anderen teilen kann, ist ein Mann, der sie ganz aufgeben sollte.« Er drehte zwei Zigaretten – wobei er als Papierersatz irgendein Blatt benutzte, das er in der Mitte durchriss –, gab eine davon Jake und zündete dann beide mit einem Streichholz an, das er mit dem Daumennagel anschnippte. In der stillen, kalten Luft unterhalb der Can Steek-Tete hing der Rauch vor ihnen, bevor eine kaum spürbare Brise ihn langsam mit sich forttrug. Jake fand den Tabak scharf, beißend und abgestanden, aber er beschwerte sich mit keinem Wort. Die Selbstgedrehte schmeckte ihm. Er dachte daran, wie oft er sich vorgenommen hatte, im Gegensatz zu seinem Vater nie zu rauchen – niemals im Leben –, und nun fing er doch damit an. Und sogar mit Einverständnis, vielleicht sogar mit Billigung seines neuen Vaters.
Roland streckte einen Finger aus, berührte Jakes Stirn … dessen linke Wange … die Nase … das Kinn. Die letzte Berührung tat ein bisschen weh. »Pickel«, sagte Roland. »Von der hiesigen Luft.« Er vermutete, dass sie auch von emotionaler Unruhe kamen – Trauer um den Pere –, aber wenn er Jake das hätte wissen lassen, hätte er den Kummer des Jungen wegen Callahans Tod nur verstärkt.
»Du hast keine«, sagte Jake. »Deine Haut ist glatt wie ein Spiegel. Glück gehabt.«
»Keine Pickel«, sagte Roland und rauchte. Unter ihnen lag das Dorf im heraufdämmernden Tageslicht. Das friedliche Dorf, dachte Jake, aber es sah mehr als friedlich aus; es sah regelrecht
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