Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
seine Kraft. Der Knopf drehte sich erneut, wurde dann aber wieder abgebremst. Jake öffnete die Augen und sah auf Rolands Stirn kleine Schweißperlen stehen.
»Das ist blöd«, sagte er. »Ich mache deine Kopfschmerzen schlimmer.«
»Egal. Tu dein Bestes.«
Mein Schlimmstes, dachte Jake. Wenn sie dieses Spiel schon spielen mussten, wollte er es nicht unnötig verlängern. Er schloss wieder die Augen und sah sofort wieder die Tür über Rolands buschigen Augenbrauen. Diesmal gebrauchte er mehr Kraft, die er zudem rasch verstärkte. Das Ganze fühlte sich ein bisschen wie Armdrücken an. Im nächsten Augenblick drehte der Knopf sich, und die Tür ging auf. Roland grunzte, dann stieß er ein schmerzhaftes Lachen aus. »Das reicht mir«, sagte er. »Bei den Göttern, du bist stark!«
Jake achtete nicht darauf. Er machte die Augen auf. »Der Schriftsteller? King? Warum bist du auf ihn zornig?«
Roland seufzte und warf seine schwelende Zigarettenkippe weg; Jake war mit seiner schon fertig. »Weil wir zwei Aufgaben haben, wo wir nur eine haben sollten. Dass wir die zweite bewältigen müssen, ist Sai Kings Schuld. Er wusste, was er zu tun hatte, und ich glaube, dass er auf irgendeiner Ebene auch gewusst hat, dass ihm dann nichts geschehen würde. Aber er war ängstlich. Er war müde.« Roland s Oberlippe kräuselte sich. »Jetzt liegen seine Kastanien im Feuer, und wir müssen sie für ihn rausholen. Dafür werden wir bezahlen müssen, und zwar ziemlich.«
»Du bist zornig auf ihn, weil er ängstlich ist? Aber …« Jake runzelte die Stirn. »Warum sollte er das nicht sein dürfen? Er ist nur ein Schriftsteller. Ein Wörterschmied, kein Revolvermann.«
»Das weiß ich«, sagte Roland, »aber ich glaube nicht, dass er aus Angst aufgehört hat, Jake, oder nur aus Angst. Er ist auch faul. Das habe ich gespürt, als ich ihm begegnet bin, und Eddie hat das sicher auch gemerkt. Er hat sich die Arbeit angesehen, die ihm aufgetragen worden war, und sie hat ihn entmutigt, und da hat er sich gesagt: ›Na gut, ich suche mir einen leichteren Job, einen, der mir besser gefällt und meinen Fähigkeiten besser entspricht. Sie werden sich meiner annehmen müssen.‹ Und das tun wir jetzt ja auch.«
»Du hast ihn nicht gemocht.«
»Nein«, sagte Roland, »das habe ich nicht. Kein bisschen. Ich habe ihm auch nicht getraut. Ich habe schon früher Wörterschmiede kennen gelernt, Jake, und sie sind alle mehr oder weniger aus demselben Holz geschnitzt. Sie erzählen Geschichten, weil sie sich vor dem Leben fürchten.«
»Sagst du das?« Jake hielt das für eine bedrückende Vorstellung. Er fand aber auch, dass sie irgendwie wahr klang.
»Das tue ich. Aber …« Roland zuckte die Achseln. So sind sie nun mal, besagte dieses Schulterzucken.
Ka-Shume, dachte Jake. Wenn ihr Ka-Tet durch Kings Schuld zerbrach …
Wenn das Kings Schuld war, was dann? Sollten sie sich an ihm rächen? Das war die Überlegung eines Revolvermanns; es war aber auch ein dummer Gedanke, so dumm wie die Idee, sich an Gott rächen zu wollen.
»Aber wir haben ihn am Hals«, ergänzte Jake.
»Aye. Trotzdem würde mich das nicht daran hindern, ihn in seinen feigen, faulen Hintern zu treten, wenn ich Gelegenheit dazu hätte.«
Darüber musste Jake schallend lachen, und der Revolvermann lächelte. Dann stand Roland mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht auf, wobei er beide Hände aufs rechte Hüftgelenk presste. »Verdammt«, knurrte er.
»Tut scheußlich weh, was?«
»Reden wir nicht von meinen kleinen Wehwehchen. Komm mit, dann zeige ich dir etwas Interessanteres.«
Roland führte Jake leicht hinkend zu einer Stelle, wo der Pfad sich – vermutlich auf dem Weg zum Gipfel – um die Flanke des Fußes der Kleinen Nadel schlängelte. Dort wollte der Revolvermann wieder in die Hocke gehen, verzog aber das Gesicht und ließ sich stattdessen auf ein Knie nieder. Er wies mit der rechten Hand zu Boden. »Was siehst du hier?«
Auch Jake ließ sich auf ein Knie nieder. Der Boden war mit Geröll und kleinen Felsbrocken übersät. Hier und da war der Gesteinsschutt aus seiner Lage gebracht worden, sodass sich schwache Spuren auf dem Geröllfeld abzeichneten. Jenseits der Stelle, an der sie knieten, waren zwei Zweige eines Busches, den Jake für einen Mesquitebusch hielt, abgeknickt. Als er sich nach vorn beugte, roch er den schwachen, stechenden Duft des Pflanzensafts. Dann begutachtete er nochmals die Spuren im Geröll. Es gab mehrere, die schmal und nicht allzu tief waren.
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