Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
gehen lassen. Eddie war von Schuldgefühlen verzehrt. Eddie hatte das vernarbte Grauen gesehen, das einmal ein gesundes Bein gewesen war, ein Knie, das jetzt mehr Teflon als Knochen war. Sie brüllten sich im Flur an, Henry stand in einem alten Paar Khakihosen und mit gepacktem Seesack in einer Hand und purpurnen Ringen unter den Augen da; Eddie hatte nur ein paar gelbliche Unterhosen angehabt. Henry sagte, du brauchst mich hier nicht, Eddie, ich bin Gift für dich, und Eddie schrie zurück: Du gehst nicht fort, schlepp deinen Arsch wieder rein, und so ging das, bis Mrs. McGursky aus ihrer Wohnung kam und schrie Geh oder bleib, mir ist das egal, aber du solltest dich besser schnell für das eine oder andere entscheiden, sonst rufe ich die Polizei. Mrs. McGursky schien noch ein paar weitere Vorhaltungen hinzufügen zu wollen, als sie sah, daß Eddie nur eine Unterhose anhatte. Und du bist nicht angezogen, Eddie Dean! fügte sie hinzu und verschwand wieder im Inneren. Es war, als würde man einem umgekehrten Jack-in-the-Box zusehen. Eddie sah Henry an. Henry sah Eddie an. Sieht so aus, als hätte Angel-Baby ein paar Pfund draufgesetzt, sagte Henry mit leiser Stimme, und dann hatten sie vor Lachen gebrüllt, hatten einander umarmt und auf die Schultern geklopft, und Henry kam wieder herein, und etwa zwei Wochen später schnupfte Eddie den Stoff auch, und er konnte nicht verstehen, warum er so ein großes Aufhebens darum gemacht hatte, schließlich war es nur Schnupfen, Scheiße, man hob dabei ab, und wie Henry (den Eddie schließlich als den großen Weisen und bedeutenden Junkie bezeichnete) sagte, was war so schlimm daran, in einer Welt high zu werden, die so eindeutig Kopf voraus zum Teufel ging?
Zeit verging. Eddie sagte nicht, wieviel. Der Revolvermann fragte nicht. Er vermutete, Eddie wußte, daß es tausend Entschuldigungen dafür gab, high zu werden, aber keinen einzigen Grund, und daß er seine Gewohnheit ziemlich unter Kontrolle gehalten hatte. Und Henry war es ebenso gelungen, seine unter Kontrolle zu behalten. Nicht so gut wie Eddie, aber genügend, daß er nicht völlig aus der Bahn geriet. Denn ob Eddie die Wahrheit begriff oder nicht (und tief im Inneren glaubte Roland, daß er begriff), Henry mußte sie eingesehen haben: Ihre Positionen hatten sich umgekehrt. Jetzt hielt Eddie Henrys Hand, wenn sie über die Straße gingen.
Der Tag kam, als Eddie Henry dabei erwischte, wie er nicht schnupfte, sondern drückte. Darauf folgte ein erneuter hysterischer Streit; beinahe eine genaue Wiederholung des ersten, nur hatte der in Henrys Zimmer stattgefunden. Und er endete fast auf dieselbe Weise: Henry hatte geweint und diese unfehlbare, unwiderlegbare Entschuldigung vorgebracht, die in totaler Unterwerfung, totaler Kapitulation bestand: Eddie habe recht, er verdiene es nicht zu leben, verdiene es nicht, auch nur Abfall aus dem Rinnstein zu essen. Er würde gehen. Eddie dürfe ihn nie wiedersehen. Er hoffe nur, er würde sich an all die Jahre erinnern…
Es verblaßte zu einem Dröhnen, das sich nicht sehr vom kiesigen Geräusch der brechenden Wellen unterschied. Roland kannte die Geschichte und sagte nichts. Eddie war es, der die Geschichte nicht kannte, ein Eddie, der zum erstenmal seit etwa zehn Jahren einen klaren Kopf hatte. Eddie erzählte die Geschichte nicht Roland; Eddie erzählte die Geschichte endlich sich selbst.
Das war gut so. Soweit der Revolvermann sehen konnte, hatten sie Zeit im Überfluß. Mit Reden konnte man sie auf eine Weise ausfüllen.
Eddie sagte, Henrys Knie hätte ihn verfolgt, das Narbengewebe an seinem Bein (das war natürlich selbstverständlich inzwischen alles verheilt, Henry hinkte kaum noch… es sei denn, er und Eddie stritten; dann schien das Hinken immer schlimmer zu werden); alles, was Henry für ihn aufgegeben hatte, verfolgte ihn, und etwas ungleich Pragmatischeres verfolgte ihn auch: Henry hätte keine Chance auf der Straße. Er wäre wie ein Kaninchen, das man in einem Dschungel voller Tiger aussetzt. Auf sich allein gestellt, würde Henry vor Ablauf einer Woche im Gefängnis oder im Bellevue landen.
Daher flehte er ihn an, und schließlich tat Henry ihm den Gefallen, sich zurückzuhalten, und sechs Monate später hatte Eddie auch einen goldenen Arm. Von diesem Augenblick an ging es stetig und unausweichlich bergab, bis Eddie auf die Bahamas geflogen war und Roland so unvermutet in sein Leben eingegriffen hatte.
Ein anderer Mann, der weniger pragmatisch und
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