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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Eddies Mütze steht vorn FRÖHLICHE, auf Jakes WEIHNACHT. Sie öffnet den Mund, um ihnen zu erklären: »Ihr Jungs könnt nicht hier sein; ihr Jungs seid tot«, und erkennt dann mit großer, jubelnder Erleichterung, dass all das andere Zeug nur ein Traum war, den sie gehabt hat. Und wirklich, wie könnte man daran zweifeln? Es gibt keine sprechenden Tiere, die Billy-Bumbler heißen, nicht in Wirklichkeit, keine Taheen-Geschöpfe mit Menschenleibern und Tierköpfen, auch keine Orte, die Fedic oder Schloss Discordia heißen.
    Vor allem gibt es keine Revolvermänner. John Kennedy war der letzte; in diesem Punkt hatte ihr Chauffeur Andrew völlig Recht.
    »Hab dir heiße Schokolade mitgebracht«, sagt Eddie und hält sie ihr hin. Ein perfekter Becher Schokolade mit Schlag obendrauf und Schokostreuseln auf dem Schlagrahm; sie kann die Schokolade riechen, und als sie den Becher entgegennimmt, kann sie die Finger in seinen Handschuhen spüren, und die erste Flocke dieses winterlichen Schneefalls schwebt zwischen ihnen zu Boden. Sie denkt, wie wundervoll es doch ist, im guten alten New York lebendig zu sein, wie großartig es ist, dass die Realität die Realität ist, dass sie im Jahr des Herrn hier …
    In welchem Jahr des Herrn eigentlich?
    Sie runzelt die Stirn, weil das doch eine ernste Frage ist. Schließlich ist Eddie ein Mann aus den Achtzigern, und sie selbst hat’s nie weiter als bis 1964 geschafft (oder war es 65?). Und was Jake angeht, Jake Chambers mit dem vorn auf der Weihnachtsmannmütze aufgedruckten Wort WEIHNACHT, stammt er nicht aus den Siebzigern? Und welchen gemeinsamen Nenner gibt es für sie, wenn sie zu dritt drei Jahrzehnte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verkörpern? Welches Jahr ist jetzt?
    »NEUNZEHN«, sagt eine Stimme aus dem Nichts (vielleicht ist es die Stimme Bango Skanks, der großen verloren gegangenen Romangestalt), »dies ist NEUNZEHN, dies ist SCHRULL. Alle deine Freunde sind tot.«
    Mit jedem Wort wird die Welt weniger wirklich. Sie kann durch Eddie und Jake hindurchsehen. Als sie nun wieder auf den Eisbären hinunterblickt, sieht sie ihn mit den Tatzen in der Luft verendet auf seiner Felseninsel liegen. Der köstliche Duft von heißer Schokolade schwindet und wird durch Modergeruch von altem Gips, uraltem Holz ersetzt. Durch den Geruch eines Hotelzimmers, in dem jahrelang niemand mehr übernachtet hat.
    Nein, jammert ihr Verstand. Nein, ich will den Central Park, ich will Mr. FRÖHLICHE und Mr. WEIHNACHT, ich will den Duft von heißer Schokolade und den Anblick der ersten zögerlichen Schneeflocken im Dezember. Ich habe genug von Fedic, Innerwelt, Mittwelt und Endwelt. Ich will meine Welt. Mir ist es nämlich egal, ob ich jemals den Dunklen Turm zu sehen kriege.
    Eddies und Jakes Lippen bewegen sich im Gleichtakt, als sängen sie gemeinsam ein Lied, eines, das sie nicht hören kann, aber es ist kein Lied; die Worte, die sie ihnen von den Lippen ablesen kann, kurz bevor ihr Traum zerbricht, lauten
     
     

4
     
    »Hütet euch vor Dandelo.«
    Mit diesen Worten auf den Lippen wachte Susannah im ungewissen Zwielicht vor Anbruch der Morgendämmerung auf. Sie zitterte vor Kälte. Wenigstens der Teil ihres Traums, der davon handelte, dass sie ihren Atem sehen konnte, erwies sich also als wirklich. Sie tastete nach ihren Wangen und wischte die Nässe ab. Es war nicht ganz so kalt, um ihre Tränen gefrieren zu lassen, aber dazu fehlte nur verdammt wenig.
    Sie sah sich in dem schäbigen Zimmer hier im Hotel Fedic um und wünschte sich von ganzem Herzen, ihr Traum vom Central Park wäre wahr gewesen. Zum einen hatte sie auf dem Fußboden schlafen müssen – das Bett war im Prinzip nur eine Rostskulptur, die darauf wartete, zusammenzubrechen – und deshalb jetzt einen steifen Rücken. Zum anderen waren alle Decken, die sie als provisorische Matratze und als Zudecke benutzt hatte, durch ihr nächtliches Hin-und-her-Werfen in Fetzen gerissen. Ihr Staub hing in der Luft, kitzelte Susannah in der Nase und erzeugte ein pelziges Gefühl im Rachen, so als wäre bei ihr die schlimmste Erkältung der Welt im Anzug. Apropos Kälte: Sie zitterte wirklich am ganzen Leib. Und sie musste pinkeln, was wiederum bedeutete, dass sie sich auf ihren Beinstümpfen und vor Kälte halb tauben Händen würde den Flur entlangschleppen müssen.
    Und dabei war nichts von dem allen wirklich das, was mit Susannah Odetta Holmes-Dean an diesem Morgen nicht in Ordnung war, stimmt’s? Das Problem war, dass sie eben

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