Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
die rechte Hüfte, jene, die längst nicht mehr schmerzte. »Du und Oy werdet bei mir sein, wenn ich die Stufen hinaufsteige und die Tür öffne, ihr werdet bei mir sein, wenn ich den Turm ersteige, ihr werdet bei mir sein, wenn ich dem geifernden roten Kobold das Handwerk lege, und ihr werdet bei mir sein, wenn ich die Kammer im Obergeschoss betrete.«
Obwohl Susannah sich nicht dahin gehend äußerte, erschien ihr das als Lüge. In Wirklichkeit erschien es ihnen damit sogar beiden als Lüge.
2
Sie brachten Konservenbüchsen, eine Bratpfanne, zwei Töpfe, zwei Teller und zwei Essbestecke mit ins Hotel Fedic zurück. Roland hatte eine Stablampe, deren fast entladene Batterien einen schwächlichen Lichtschein lieferten, ein Tranchiermesser und ein praktisches kleines Fleischerbeil mit gummiertem Griff dazugelegt. Susannah hatte zwei Einkaufsnetze gefunden, in denen sie dieses Minimum an neuen Gunna transportieren konnten. Und sie hatte in der Speisekammer neben der Krankenrevierküche auf einem hohen Regalbrett drei Dosen mit einer gallertartigen Masse entdeckt.
»Das ist Sterno«, erklärte sie dem Revolvermann auf seine Frage hin. »Gutes Zeug. Man kann es anzünden. Es verbrennt langsam und erzeugt eine heiße blaue Flamme, auf der man kochen kann.«
»Ich dachte mir schon, dass wir hinter dem Hotel ein kleines Feuer machen«, sagte er. »Allerdings brauche ich derart übel riechendes Zeug nicht dazu.« Er sprach mit einem Anflug von Verachtung.
»Nein, vermutlich nicht. Aber es könnte sich als nützlich erweisen.«
»Wozu?«
»Keine Ahnung, aber …« Sie zuckte die Achseln.
Kurz vor dem Ausgang kamen sie an einer Putzkammer vorbei, in der ein Hausmeister allen möglichen Kram aufbewahrt hatte. Susannah hatte fürs Erste nun wirklich genug vom Dogan und wollte möglichst schnell hinaus, aber Roland wollte sich darin umsehen. Die Putzkübel, Schrubber und Reinigungsmittel beachtete er nicht weiter. Er interessierte sich nur für die in einer Ecke liegenden Gurte und Stricke. Die Bretter, auf denen sie lagen, ließen Susannah vermuten, dass dieses Zeug einmal zum Bau eines Gerüsts gedient hatte. Sie konnte sich auch denken, wofür Roland die Gurte und Stricke hernehmen wollte, und Betrübnis überfiel sie. Sie hatte das Gefühl, wieder ganz am Anfang zu sein.
»Ich dachte, das mit der Huckepackerei wäre vorbei«, sagte sie ärgerlich und mit mehr als nur einem Anklang von Detta in der Stimme.
»Das ist aber irgendwie die einzige Möglichkeit«, sagte Roland. »Ich bin nur froh, dass ich wieder gesund genug bin, um dein Gewicht tragen zu können.«
»Und dieser unterirdische Gang ist der einzige Weg nach draußen? Weißt du das auch ganz bestimmt?«
»Vielleicht gibt es auch einen Weg durchs Schloss hindurch …«, begann er, aber Susannah schüttelte bereits den Kopf.
»Ich war mit Mia bereits oben, vergiss das nicht. Jenseits fällt der Steilhang nach Discordia hinunter mindestens hundertfünfzig Meter tief ab. Wahrscheinlich sogar tiefer. Sollte es dort jemals eine Treppe gegeben haben, existiert sie jedenfalls längst nicht mehr.«
»Dann sind wir wohl für den Korridor bestimmt«, sagte er, »und er für uns. Vielleicht finden wir jenseits ja ein Gefährt für dich. In einem anderen Dorf, einer anderen Stadt.«
Susannah schüttelte nochmals den Kopf. »Ich glaube, dass die Zivilisation hier endet, Roland. Und ich glaube, wir sollten uns möglichst warm anziehen, weil es ziemlich kalt werden wird.«
Warme Kleidung schien hier jedoch knapp zu sein. Anders als bei den Lebensmitteln war offenbar niemand auf den Gedanken gekommen, ein paar zusätzliche Pullover und Fleecejacken vakuumverpackt einzulagern. Es gab zwar Wolldecken, aber selbst die eingelagerten Decken waren fadenscheinig dünn, nahezu wertlos.
»Aber mir ist alles scheißegal«, sagte sie mit matter Stimme. »Wenn wir nur bald von hier wegkommen.«
»Das werden wir«, sagte er.
3
Susannah ist im Central Park, und es ist kalt genug, dass sie ihren Atem sehen kann. Der gesamte Himmel über ihr ist eintönig weiß, ein Schneehimmel. Sie sieht auf den Eisbären hinunter (der sich auf seiner Felseninsel wälzt, weil ihm die Kälte sehr zu behagen scheint), als auf einmal jemand seinen Arm um ihre Taille schlingt. Warme Lippen drücken ihr einen Schmatz auf die kalte Wange. Als sie sich umdreht, stehen dort Eddie und Jake. Ihr Grinsen ist identisch, und sie tragen fast identische Weihnachtsmannmützen. Auf
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