Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
zudem ein unverständliches Symbol. Allein von seinem Anblick wurde ihr unbehaglich zumute.
»Weißt du, was es bedeutet?«, fragte sie. Roland – obwohl er über ein halbes Dutzend Sprachen beherrschte und viele andere kannte – schüttelte den Kopf. Susannah war erleichtert. Sie hatte den Verdacht, dass jemand, der die Lautfolge kannte, die dieses Symbol bezeichnete, sie bestimmt auch würde aussprechen wollen. Sie vielleicht würde aussprechen müssen. Und dann würde die Tür sich öffnen. Würde man weglaufen wollen, wenn man das Wesen sah, das dahinter kaute? Wahrscheinlich. Würde man’s können?
Möglicherweise nicht.
Bald nach dieser Tür kamen sie an eine weitere, etwas kürzere Treppe und stiegen sie hinunter. »Die muss ich vergessen haben, als wir gestern darüber geredet haben, aber jetzt fällt sie mir wieder ein«, sagte sie und zeigte auf die Fußabdrücke im Staub, der die Treppenstufen bedeckte. »Siehst du, hier sind unsere Spuren. Fred hat mich runtergetragen, Dinky wieder rauf. Wir sind fast da, Roland, versprochen.«
In dem Labyrinth aus sich verzweigenden Korridoren am unteren Ende der Treppe verlor sie jedoch abermals die Orientierung, und das war die Gelegenheit, wo Oy sich als ihr Retter erwies, indem er durch einen düsteren Tunnel weitertrabte, der so niedrig war, dass der Revolvermann gebückt gehen musste, während Susannah sich mit um seinen Hals geschlungenen Armen an ihm festklammerte.
»Ich weiß nicht …«, begann Susannah, aber dann führte Oy sie in einen helleren Korridor (vergleichsweise heller: mindestens die Hälfte aller Leuchtstoffröhren war ausgebrannt, und viele Kacheln waren von den Wänden gefallen und ließen das dunkle, feucht glänzende Erdreich dahinter sehen). Der Bumbler setzte sich auf ein verwischtes Durcheinander aus Fährten und sah zu ihnen auf, als wollte er fragen: Hier wolltet ihr doch her, oder?
»Genau«, sagte Susannah hörbar erleichtert. »Okay. Sieh nur, genau wie ich’s dir erzählt habe.« Sie zeigte auf eine Tür mit der Aufschrift FORD’S THEATER, 1865. SEHEN SIE DIE ERMORDUNG LINCOLNS. Daneben hing unter Glas ein Plakat für Our American Cousin, das aussah, als wäre es erst am Vortag gedruckt worden. »Der Gang, zu dem wir wollen, liegt ganz in der Nähe. Zweimal links, dann rechts … glaube ich. Jedenfalls werde ich ihn wiedererkennen, wenn ich ihn sehe.«
Roland war die ganze Zeit über geduldig mit ihr. Ihn beunruhigte ein hässlicher Gedanke, den er Susannah gegenüber jedoch verschwieg: dass dieses unterirdische Labyrinth aus Tunneln und Korridoren ebenso driften könne wie die Himmelsrichtungen der »oberen Welt«, wie er sie insgeheim bereits nannte. Wenn das stimmte, säßen sie ordentlich in Schwierigkeiten.
Hier unten war es so heiß, dass die beiden bald schweißnass waren. Oy hechelte laut und gleichmäßig wie eine kleine Lok, aber er blieb stets neben der linken Ferse des Revolvermanns. Der Boden war hier nicht mehr mit Staub bedeckt, und Spuren, wie sie zurvor gelegentlich welche gesehen hatten, waren hier nicht mehr zu entdecken. Dafür waren die Geräusche hinter den hiesigen Türen lauter, und als sie an der nächsten vorbeikamen, wurde dahinter so kräftig an die Tür geschlagen, dass sie mitsamt dem Rahmen erzitterte. Oy kläffte sie an, wobei er die Ohren anlegte, und Susannah stieß einen kleinen Schrei aus.
»Ganz ruhig«, sagte Roland. »Es kann nicht durchbrechen. Das kann keines von ihnen.«
»Weißt du das auch bestimmt?«
»Ja«, sagte der Revolvermann mit fester Stimme. Dabei war er sich seiner Sache eigentlich keineswegs sicher. Ihm fiel ein Ausdruck von Eddie ein: Alles ist möglich.
Sie wichen immer wieder Pfützen aus und achteten darauf, den von Radioaktivität oder Hexenlicht leuchtenden Lachen nicht einmal nahe zu kommen. Als sie an einer geborstenen Leitung vorbeikamen, aus der eine endlose grüne Dampffahne strömte, schlug Susannah vor, den Atem anzuhalten, bis sie ein gutes Stück daran vorbei waren. Roland hielt das für eine ausgezeichnete Idee.
Dreißig oder vierzig Meter weiter bat sie ihn, stehen zu bleiben. »Ich weiß nicht recht, Roland«, sagte sie, und er konnte hören, wie sie sich bemühte, alle Panik aus ihrer Stimme herauszuhalten. »Als ich die Lincoln-Tür gesehen habe, dachte ich, wir hätten’s geschafft, aber jetzt … sieht hier alles …« Ihre Stimme schwankte, und er spürte, wie Susannah tief durchatmen musste, während sie darum kämpfte, nicht die
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