Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
gesagt?«, fragte Detta und gackerte. »Wird wieder Zeit, sich ins Zeuch zu legn, Roland!«
Er betrachtete sie. »Kannst du Detta nicht wegschicken?«
Sie sah ihn überrascht an, dann rief sie sich ins Gedächtnis zurück, was sie zuletzt gesagt hatte, und errötete. »Doch«, sagte sie mit bemerkenswert dünner Stimme. »Entschuldige, Roland.«
Er hob sie auf und rückte sie im Tragegeschirr zurecht. Dann ging es weiter. So unangenehm es unter dem Dogan war – so unheimlich es unter dem Dogan auch sein mochte –, Susannah war trotzdem froh, dass sie Fedic nun endlich hinter sich ließen. Weil das zugleich bedeutete, dass sie auch alles andere hinter sich ließen: Lud, die Callas, Donnerschlag, Algul Siento; auch New York und den Westen Maines. Vor ihnen lag das Schloss des Roten Königs, wenngleich sie nicht glaubte, dass sie sich deswegen sonderlich große Sorgen machen mussten, war sein berühmtester Bewohner doch dem Wahnsinn verfallen und hatte seinen Wohnsitz im Dunklen Turm genommen.
Das Unwesentliche blieb zurück. Sie näherten sich dem Ende ihrer langen Reise, und es gab nicht mehr viel anderes, um das man sich Sorgen machen musste. Das war gut. Und wenn das Schicksal es wollte, dass sie auf ihrem Weg zu Rolands Objekt der Begierde den Tod fand? Nun, solange jenseits der Existenz nur gewöhnliche Dunkelheit lag (wie sie während des größten Teils ihres Erwachsenenlebens geglaubt hatte), war nichts verloren, solange es kein Flitzerdunkel voller schleichender Ungeheuer war. Und he, vielleicht gab es ja ein Leben nach dem Tode, ein Paradies, eine Wiedergeburt, vielleicht sogar eine Wiederauferstehung auf der Lichtung am Ende des Pfades. Letztere Vorstellung gefiel ihr, und sie hatte genügend Wunder miterlebt, um diese Möglichkeit nicht ganz auszuschließen. Vielleicht würden Eddie und Jake sie dort erwarten, beide dick gegen die Kälte vermummt, während die ersten vom Himmel herabschwebenden Schneeflocken des Winters sich in ihren Augenbrauen verfingen: Mr. FRÖHLICHE und Mr. WEIHNACHT, die ihr heiße Schokolade anboten. Mit Schlag.
Heiße Schokolade im Central Park! Was war im Vergleich dazu der Dunkle Turm?
7
Sie kamen durch die Rotunde mit ihren Türen nach überallhin; sie erreichten schließlich den breiten Korridor mit dem Schild NUR ORANGEROTE ZEITKARTE VORWEISEN; BLAUE ZEITKARTE WIRD NICHT AKZEPTIERT an der Wand. Etwas weiter den Korridor entlang sahen sie im Schein einer der wenigen noch brennenden Leuchtstoffröhren (und unweit des verlorenen Mokassins) etwas, das an die gekachelte Wand geschrieben war, und machten einen kleinen Umweg, um es lesen zu können.
Roland, Susannah: Wir sind unterwegs! Wünscht uns alles Gute!
Auch EUCH alles Gute!
Gott segne euch!
Wir werden euch nie vergessen!
Den Haupttext hatten alle unterschrieben: Fred Worthington, Dani Rostov, Ted Brautigan und Dinky Earnshaw. Unter ihren Namen standen zwei weitere Zeilen in einer anderen Schrift, die Susannah für die Teds hielt. Als sie las, was er geschrieben hatte, hätte sie am liebsten geweint:
Wir gehen eine bessre Welt suchen.
Möget auch ihr eine finden.
»Gott segne sie«, sagte Susannah heiser. »Gott segne und behüte sie alle.«
»Hüte«, sagte eine leise, ziemlich schüchterne Stimme neben Rolands Ferse. Sie sahen nach unten.
»Willst wohl wieder reden, Schätzchen?«, fragte Susannah, aber darauf gab Oy keine Antwort. Es dauerte Monate, bis er wieder etwas sagte.
8
Zweimal verliefen sie sich. Das eine Mal fand Oy ihren Weg durch das Labyrinth aus Tunneln und Korridoren wieder – in einigen heulte manchmal ein ferner stürmischer Luftzug, während aus anderen verschiedene Geräusche kamen, die näher und bedrohlicher klangen –, und einmal fand Susannah selbst auf den richtigen Weg zurück, weil sie das von Dani weggeworfene Einwickelpapier eines Mounds-Schokoriegels erspähte. Im Algul Siento hatte es reichlich Süßigkeiten gegeben, und die Kleine hatte davon offenbar einen erklecklichen Vorrat mitgenommen. (»Aber kein einziges Kleidungsstück zum Wechseln«, sagte Susannah kopfschüttelnd und lachte.) An einer Stelle, vor einer alten Eisenholztür, die Roland an die Türen am Strand des Westlichen Meeres erinnerte, hörten sie widerliche Kaugeräusche. Susannah versuchte sich vorzustellen, wer oder was wohl solche Geräusche machen konnte, und kam nur auf einen riesigen, körperlosen Rachen voller schmutzig-gelber Zähne. An der Tür befand sich
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