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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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leuchtenden Beckenknochen lag ein Goldring, der zuletzt wohl von einem der zerfallenden Finger der rechten Hand des Toten geglitten war. Susannah bat Roland, sich den Ring näher ansehen zu dürfen. Er hob ihn auf und gab ihn ihr. Sie betrachtete ihn ausreichend lange, um ihre Vermutung bestätigt zu finden, und warf ihn dann fort. Der Ring klirrte kurz, und danach waren wieder nur tropfendes Wasser und das Flitzer-Glockenspiel zu hören – jetzt zwar leiser, aber unverändert beharrlich.
    »Wie ich gedacht habe«, sagte sie.
    »Und das wäre?«, fragte Roland, als er sich wieder in Bewegung setzte.
    »Der Kerl war ein Elk. Mein Vater hatte denselben verdammten Ring.«
    »Ein ›Elk‹? Das sagt mir nichts.«
    »Das ist eine Bruderschaft. Sozusagen ein ›Good-ole-boy‹-Ka-Tet. Aber was zum Teufel hat ein Elk hier unten zu suchen gehabt? Wenn’s ein Shriner gewesen wäre … das könnte ich zur Not noch verstehen.« Worauf sie leicht irre lachte.
    Die von der Decke hängenden Kugeln waren mit irgendeinem leuchtenden Gas gefüllt, das zwar rhythmisch, aber nicht ganz gleichmäßig pulsierte. Susannah ahnte, dass es hier etwas zu erkennen gab, und begriff es auch schon nach kurzer Zeit tatsächlich. Wenn Roland sich rasch bewegte, pulsierten die Leuchtkugeln schnell. Wurde er langsamer (ohne anzuhalten, aber irgendwie eben im Energiesparmodus), verringerte sich auch die Impulsfolge des Leuchtens. Sie glaubte zwar nicht ganz, dass das Pulsieren genau seinem – oder ihrem – Herzschlag entsprach, aber irgendwie gehörte er mit dazu. (Hätte sie das Wort Biorhythmus gekannt, hätte sie es sofort darauf angewendet.) Jeweils für die nächsten etwa fünfzig Meter vor ihnen war die Hauptstraße dunkel; erst bei ihrem Näherkommen flammten die Lampen jeweils auf. Es hatte fast etwas Hypnotisierendes an sich. Einmal drehte Susannah sich nach hinten um – nur einmal, sie wollte Roland ja nicht aus dem Tritt bringen – und stellte fest, dass die Lampen, jawohl, etwa fünfzig Meter hinter ihnen wieder erloschen. Die Lichter hier waren viel heller als die flackernden Leuchtkugeln am Anfang der Hauptstraße, und sie vermutete, dass das Flackern daher rührte, dass ihre Energiequelle (wie fast alles in dieser Welt) allmählich versagte. Dann fiel ihr auf, dass eine der Leuchten beim Annähern dunkel blieb. Als sie noch näher herankamen, um dann schließlich unter ihr hindurchzugehen, sah Susannah, dass sie nicht völlig tot war; ihr Kern leuchtete weiterhin schwach und pulsierte im Rhythmus ihrer Herzen und Gehirne. Das erinnerte sie an manche Leuchtreklamen, bei denen einer oder mehrere Buchstaben defekt waren, sodass PABST zu PA ST oder TASTY BRATWURST zu TASTY RATWURST wurde. Ungefähr dreißig Meter weiter kam die nächste durchgebrannte Leuchtkugel, dann kamen zwei nacheinander.
    »Wenn das so weitergeht, haben wir bald kein Licht mehr«, meinte sie verdrießlich.
    »Ich weiß«, sagte Roland. Er schien jetzt ein ganz kleines bisschen außer Atem zu sein.
    Die Luft blieb moderig, aber die anfängliche Hitze wich allmählich feuchter Kälte. An den Wänden hingen Plakate, von denen die meisten längst bis zur Unkenntlichkeit verrottet waren. Sie sahen eines auf einem trockenen Wandstück, das einen Mann zeigte, der eben in einer Arena einem Tiger unterlegen war. Die Raubkatze riss dem Schreienden ein blutiges Eingeweideknäuel aus dem Bauch, während die Zuschauer ringsum johlten. Der Plakattext bestand aus jeweils einer Zeile in einem halben Dutzend verschiedener Sprachen. Den an zweiter Stelle stehenden Text konnte Susannah lesen: BESUCHEN SIE DEN CIRCUS MAXIMUS! SIE WERDEN JUBELN!
    »Jesus, Roland«, sagte Susannah. »Allmächtiger Gott, was waren das für Menschen?«
    Roland machte sich nicht die Mühe, einen der Texte zu entziffern, gab aber auch keine Antwort, obwohl er eine hatte: Folken, die übergeschnappt waren.
     
     

10
     
    In Abständen von hundert Metern führten kurze Treppen – die längste hatte insgesamt nur zehn Stufen – sie allmählich immer tiefer ins Erdinnere hinunter. Als sie nach Susannahs Schätzung ungefähr einen halben Kilometer zurückgelegt hatten, erreichten sie ein Holztor, das aus den Angeln gerissen und völlig zertrümmert worden war – möglicherweise von irgendeinem Fahrzeug. Hier lagen weitere Skelette, an einigen Stellen sogar so dicht, dass Roland es nicht vermeiden konnte, auf sie zu treten. Die Knochen zerbrachen nicht knackend, sondern zerbarsten dumpf, was aber

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