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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sich hinein. Tim beobachtete das mit Unbehagen, aber seine Mutter schien es nicht zu bemerken. Weiter verstärkt wurde sein Unbehagen durch die Tatsache, dass so wenige andere Holzfäller zu der Feier kamen, obwohl sie an einem Ethtag stattfand. Wäre er kein Junge, sondern ein Mädchen gewesen, wäre ihm vielleicht noch etwas anderes aufgefallen. Mehrere der Frauen, die Nell zu ihren Freundinnen zählte, beobachteten die Frischverheiratete mit unterschwellig mitleidigen Blicken.
    In dieser Nacht wurde er lange nach Mitternacht durch einen dumpfen Schlag und einen Aufschrei geweckt, die Teil eines Traums gewesen sein konnten, obwohl sie durch die Wand aus dem Raum zu kommen schienen, den seine Mutter sich nun – wahr, aber immer noch nicht recht zu glauben – mit Big Kells teilte. Tim lag horchend im Bett und war schon fast wieder eingeschlafen, als er ein leises Weinen hörte. Dann hörte er, wie sein neuer Stiefvater halblaut und schroff sagte: »Halt die Klappe, ja? Du bist überhaupt nicht verletzt, du blutest nicht, und ich muss mit den Hühnern aufstehen.«
    Das Weinen verstummte. Tim horchte angestrengt, aber drüben wurde nicht mehr gesprochen. Kurz nachdem Big Kells zu schnarchen begann, schlief auch er wieder ein. Als seine Mutter am nächsten Morgen am Herd stand und Spiegeleier briet, sah Tim, dass sie am linken Arm über dem Ellbogen einen blauen Fleck hatte.
    »Oh, das ist nichts«, sagte Nell, als sie seinen Blick bemerkte. »Ich musste nachts mal raus und hab mich am Bettpfosten angestoßen. Ich muss wieder lernen, mich im Dunkeln zurechtzufinden, weil ich jetzt nicht mehr allein bin.«
    Tim dachte: Yar, genau das befürchte ich.

Als der zweite Ethtag  
    seines Ehelebens heraufzog, nahm Big Kells Tim zu seinem alten Haus mit, das jetzt Baldy Anderson, dem anderen großen Farmer von Tree, gehörte. Sie fuhren mit Kells’ Holzfuhrwerk. Die Maultiere trabten leicht, weil es keine Eisenholzstämme oder -balken zu ziehen gab; heute lagen am hinteren Rand der Ladefläche nur ein paar Häufchen Sägemehl. Aber auch sie verströmten natürlich den typischen süß-sauren Geruch. Mit geschlossenen Fensterläden und dem hohen, ungemähten Gras, das bis fast zu dem splitternden Verandageländer hinaufwucherte, wirkte Kells’ altes Haus traurig und verlassen.
    »Sobald ich meine Gunna dort raus hab, kann Baldy es als Brennholz haben, wenn er will«, grunzte Kells. »Mir nur recht.«
    Wie sich zeigte, wollte er nur zwei Dinge aus dem Haus holen: eine schmuddelige alte Fußbank und einen großen Lederkoffer mit Riemen und einem Messingschloss. Der stand im Schlafzimmer, und Kells streichelte ihn wie ein Schoßtier. »Den kann ich nicht zurücklassen«, sagte er. »Niemals! Er hat meinem Vater gehört.«
    Tim half ihm, den Schrankkoffer hinauszuschaffen, aber Kells musste die meiste Arbeit selbst tun. Der Koffer war sehr schwer. Als er endlich auf der Ladefläche lag, blieb Big Kells vornübergebeugt stehen und ließ die Hände auf den Knien seiner frisch (und sehr ordentlich) geflickten Hose ruhen. Als sein Gesicht wieder die normale Farbe anzunehmen begann, streichelte er den Koffer wieder – und das mit einer Zärtlichkeit, die Tim bei Kells im Umgang mit seiner Mutter noch nicht beobachtet hatte. »Mein ganzer Besitz in einem einzigen Koffer verstaut. Was das Haus betrifft … Hat Baldy den Preis gezahlt, den ich hätte kriegen müssen?« Er musterte Tim herausfordernd, als erwartete er bei diesem Thema Widerspruch.
    »Weiß ich nicht«, sagte Tim vorsichtig. »Die Leute sagen, dass Sai Anderson knauserig ist.«
    Kells lachte schroff. »Knauserig? Knauserig? Er hält seinen Geldbeutel geschlossen wie ein Jüngferchen die Beine, das tut er. Nar, nar, ich hab statt ’ner Scheibe nur Krümel gekriegt, weil er genau wusste, dass ich nicht warten konnte. Hilf mir, die Ladeklappe festzubinden, Junge, und trödle nicht.«
    Tim trödelte nicht. Er hatte seine Seite der Ladeklappe ordentlich festgebunden, bevor Kells seine mit einem schlampigen Slipstek gesichert hatte, über den Tims Vater nur gelacht hätte. Als Big Kells endlich fertig war, bedachte er den Koffer mit einer weiteren dieser seltsamen Liebkosungen.
    »Da ist jetzt alles drin, was ich besitze. Baldy hat genau gewusst, dass ich vor Weite Erde Silber brauchte, nicht wahr? Der alte Du-weißt-schon-wer kommt und wird die Hand ausstrecken.« Er spuckte zwischen seine alten, abgewetzten Stiefel. »Das ist alles die Schuld deiner Ma.«
    » Ma soll schuld

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