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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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einzeln. Nachdem Jack Ross nun tot war, forderte Bern Kells sie auf, mit ihm an einem Strang zu ziehen. Das war nur selbstverständlich.
    Trotzdem zögerte Nell.
    »Komm morgen um diese Zeit wieder, wenn du noch willst«, forderte sie ihn auf. »Dann bekommst du meine Antwort.«
    Das gefiel ihm nicht; sie sah, dass es ihm nicht gefiel; sie sah etwas in seinen Augen, was schon manchmal aufgeblitzt war, als sie noch ein junges Mädchen mit zwei Verehrern gewesen war, um die sie alle Freundinnen beneidet hatten. Dieser Blick war es, was sie zögern ließ, obwohl er jetzt wie ein Nothelfer erschienen war, der ihr – und natürlich Tim – einen Ausweg aus dem schrecklichen Dilemma bot, in das Big Ross’ Tod sie gestürzt hatte.
    Möglicherweise merkte er, dass sie es sah, jedenfalls senkte er den Blick. Er betrachtete kurz seine Stiefel, und als er wieder aufsah, lächelte er. So sah er fast so gut aus wie in seiner Jugend – wenn auch nicht so gut wie Jack Ross.
    »Morgen also. Aber nicht später. Im Westen gibt es da diesen Spruch: ›Betrachte Präsente nicht zu lange, denn jedes schöne Ding hat Flügel und könnte sich davonschwingen.‹«

Sie wusch sich am Bachufer,  
    blieb eine Zeit lang dort stehen, um den süß-sauren Duft des Waldes einzuatmen, ging dann ins Haus und legte sich auf ihr Bett. Sonst war Nell Ross vor Sonnenuntergang nie in der Waagrechten anzutreffen, aber sie hatte viel, worüber sie nachdenken musste, und viel, woran sie sich aus alten Zeiten vor der Geburt ihres kostbaren Sohns erinnern musste – als zwei verwegene junge Holzfäller um ihre Küsse gewetteifert hatten.
    Selbst wenn ihr Blut sie zu Bern Kells gedrängt hätte (damals noch nicht Big Kells, obwohl sein Vater tot war, im Wald von einem Vurt oder einem anderen Albtraum dieser Art umgebracht), war sie sich nicht sicher, ob sie sich durch die Kordel mit ihm verbunden hätte. Kells war gutmütig und humorvoll, wenn er nüchtern war, und stetig wie der Sand in einem Stundenglas, aber er konnte jähzornig und gewalttätig sein, wenn er betrunken war. Und er war damals oft betrunken gewesen. Seine Sauftouren waren häufiger und ausschweifender geworden, nachdem Ross und Nell geheiratet hatten, und er war oft im Gefängnis aufgewacht.
    Jack hatte eine Zeit lang zugesehen, aber nachdem Kells im Suff die Einrichtung eines Saloons zertrümmert hatte, bevor er bewusstlos umgekippt war, hatte Nell ihrem Mann gesagt, nun müsse etwas geschehen. Big Ross hatte widerstrebend zugestimmt. Er hatte seinen alten Freund und Partner aus dem Gefängnis geholt – wie schon so viele Male zuvor –, aber diesmal hatte er ernst mit Kells gesprochen, statt ihm nur zu raten, in den Bach zu springen und drinzubleiben, bis sein Kopf wieder klar sei.
    »Hör mir jetzt zu, Bern, aber mit beiden Ohren. Du bist mein Freund, seit ich laufen kann, und mein Partner, seit wir alt genug waren, das Blossholz hinter uns zu lassen und selbständig ins Eisenholz zu gehen. Du hast auf mich aufgepasst und ich auf dich. Es gibt keinen Menschen, dem ich mehr vertraue, jedenfalls wenn du nüchtern bist. Wenn du Fusel in dich reinschüttest, bist du allerdings nicht zuverlässiger als Treibschlamm. Ich kann nicht allein in den Wald gehen, aber alles, was ich besitze – was wir beide besitzen –, ist in Gefahr, wenn ich mich nicht auf dich verlassen kann. Ich hab keine Lust, mir einen neuen Partner zu suchen, aber ich warne dich jetzt: Ich hab eine Frau, mein erstes Kind ist unterwegs, und ich werd tun, was ich tun muss.«
    Kells soff, raufte und hurte noch ein paar Monate weiter, wie um seinen alten Freund (und die junge Frau seines alten Freundes) zu ärgern. Big Ross war kurz davor, ihm die Partnerschaft aufzukündigen, als das Wunder geschah. Es war ein kleines Wunder, nur wenig über eins fünfzig vom Scheitel bis zur Sohle, das Millicent Redhouse hieß. Was Bern Kells nicht für Big Ross hatte tun wollen, das tat er nun für Milly. Als sie nach eineinhalb Jahren im Kindbett starb (und das Baby bald darauf, noch bevor das von den Wehen gerötete Gesicht der armen Frau erblasst war, wie die Hebamme Nell anvertraute), war Ross bedrückt.
    »Er fängt bestimmt wieder an zu saufen, und die Götter mögen wissen, was dann aus ihm wird.«
    Aber Big Kells blieb trocken, und wenn er in der Nähe von Gitty’s Saloon zu tun hatte, ging er auf die andere Straßenseite hinüber. Er sagte, das sei Millys letzter Wunsch gewesen, gegen den er nicht verstoßen könne, ohne ihr

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