Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
gelegt.
Dann hatte er gewartet.
Eine Stunde; zwei; drei.
Während der vierten Stunde, als sein müder und fiebriger Körper versuchte zu dösen, spürte er mehr, wie die Herrin erwachte, als er es sah, und war selbst sofort hellwach.
Er sah ihr zu, wie sie sich herumrollte. Er sah zu, wie sie die Hände zu Krallen formte und sich zu der Stelle schleppte, wo die Revolvergurte lagen. Er sah zu, wie sie einen Revolver herausnahm, näher zu Eddi kroch, innehielt und mit bebenden Nasenflügeln den Kopf neigte; sie tat mehr, als nur in der Luft riechen; sie schmeckte sie.
Ja. Das war die Frau, die er mit herübergebracht hatte.
Als sie zum Revolvermann sah, tat er mehr, als Schlaf vorzutäuschen, denn sie hätte die Täuschung gewittert; er schlief tatsächlich ein. Als er spürte, wie sie den Blick abwandte, wachte er auf und machte wieder das eine Auge auf. Er sah, wie sie den Revolver hob – sie tat es mit weniger Anstrengung als Eddie, als dieser ihn zum erstenmal gehoben und Roland ihm dabei zugesehen hatte – und Eddie an die Schläfe hielt. Dann hielt sie inne, und ihr Gesicht war von unaussprechlicher Verschlagenheit erfüllt.
In diesem Augenblick erinnerte sie ihn an Marten.
Sie machte sich an der Trommel zu schaffen, irrte sich beim erstenmal, dann klappte sie sie heraus. Sie sah sich die Patronen an. Roland verkrampfte sich, ob sie sehen würde, daß die Zündköpfe bereits angeschlagen worden waren, wartete, ob sie den Revolver herumdrehen und auf der anderen Seite hineinsehen würde, um festzustellen, daß dort Leere statt Blei war (er hatte überlegt, ob er die Revolver mit Patronen laden sollte, die sich schon einmal als Fehlzünder erwiesen hatten, aber nur kurz; Cort hatte ihnen beigebracht, daß jede Feuerwaffe letztendlich vom Alten Pferdefuß beherrscht wird, und eine Patrone, die einmal nicht gezündet hatte, zündete vielleicht beim zweitenmal). Hätte sie das getan, wäre er sofort aufgesprungen.
Aber sie klappte den Zylinder wieder zu, wollte den Hahn spannen… und dann wartete sie wieder ab. Wartete, bis ein Windstoß das leise Klicken übertönen würde.
Er dachte: Auch sie ist eine, mein Gott, sie ist böse, diese hier, sie hat keine Beine, aber sie ist ebenso zur Revolverfrau bestimmt wie Eddie zum Revolvermann.
Er wartete mit ihr.
Der Wind heulte.
Sie spannte den Hahn vollständig und hielt den Lauf einen halben Zentimeter von Eddies Schläfe entfernt. Dann betätigte sie den Abzug mit einem Grinsen, das an die Grimasse eines Ghuls gemahnte.
Klick.
Sie wartete.
Sie drückte noch einmal ab. Und noch einmal. Und noch einmal.
Klickklickklick.
»Wichsah!« schrie sie und drehte den Revolver mit geschmeidigem Geschick herum.
Roland spannte sich, sprang aber nicht. Ein Kind begreift erst, was ein Hammer ist, wenn es sich an einem Nagel den Finger blutiggeschlagen hat.
Wenn sie ihn umbringt, bringt sie dich um.
Einerlei, antwortete die Stimme von Cort ungerührt.
Eddie bewegte sich. Und seine Reflexe waren nicht schlecht; er bewegte sich schnell genug, daß er nicht bewußtlos geschlagen oder getötet wurde. Anstatt auf die verwundbare Schläfe, prallte der Kolben des Revolvers auf seinen Kiefer.
»Was… mein Gott!«
»WICHSAH! BLASSER WICHSAH!« kreischte Detta, und Roland sah, wie sie den Revolver zum zweitenmal hob. Und obwohl sie keine Beine hatte und Eddie sich wegrollte, wagte er nicht, länger zu warten. Wenn Eddie die Lektion jetzt nicht gelernt hatte, würde er sie nie lernen. Wenn der Revolvermann Eddie das nächstemal sagte, er solle auf der Hut sein, dann würde er es sein, und außerdem – das Miststück war schnell. Es wäre unklug, sich weiter als bis hierher auf Eddies Schnelligkeit oder die Behinderung der Herrin zu verlassen.
Er schnellte auf, über Eddie hinweg, und er warf sich nach hinten und auf sie.
»Willstes, Wichsah?« schrie sie ihn an und rieb gleichzeitig den Schritt an seinen Lenden und hob den Arm, der noch den Revolver hielt, über seinen Kopf. »Willstes? Ich geb der wasde willst, klaro!«
»Eddie!« brüllte er noch einmal, und jetzt rief er nicht nur, sondern befahl. Eddie kauerte einen Augenblick immer noch da, mit aufgerissenen Augen, Blut troff von seinem Kiefer (er fing schon an zu schwellen), gaffend. Beweg dich, kannst du dich nicht bewegen? dachte er, oder willst du es nur nicht? Seine Kräfte ließen nach, und wenn sie das nächstemal mit dem schweren Revolvergriff zuschlagen würde, würde sie ihm den Arm brechen… das hieß,
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