Verletzt
Buch 1
Du hast mich verletzt, doch mein Herz zerbrechen wirst du nicht
Ich halte es fest in meinen Händen und ins Licht
Die Sonne wärmt mein Herz
Und irgendwann vergeht der Schmerz
und die Sonne sich funkeln in den Facetten der Liebe bricht…
Rose von der Au
Kapitel 1
Aus meinem Augenwinkel sehe ich den Schwanz der Bestie auf mich zurasen. Silberne Stacheln blitzen im Licht der Sonne auf, Luft schreit auf, als fürchte sie sich. Meine Sinne sind darauf trainiert, all das wahrzunehmen, als wäre mein ganzer Körper ein einziger Reflex, springe ich zur Seite und ducke mich unter dem Tötungsinstrument hindurch.
Der stachelbewaffnete Schwanz schlägt mit solcher Wucht in der gegenüberliegenden Hauswand ein, dass der Putz und gewaltige Teile der darunter liegenden Steinmauer weggesprengt werden.
„Freija, weg da! Zurück zu mir!“, höre ich Jesse rufen, aber ich reagiere nicht. Höre nicht auf ihn. Warum sollte ich auch? Er ist der Fernkämpfer - und nicht ich. Wir sind ein Team und ich bin dazu ausgebildet, genau hier zu kämpfen, an meinem Platz, direkt Auge in Auge mit der Bestie, die sich jetzt wieder mir zuwendet.
Sie ist so groß wie ein Panzer. Ihre schwarze, lederne Haut saugt das Licht auf, als wäre sie ein schwarzes Loch. Nur die Stacheln am Schwanz reflektieren die paar Sonnenstrahlen, die sich in die nach Abfällen stinkende Gasse verirrt haben. Ihre Augen sind groß wie Handteller, schwarz, kaum zu erahnen. Beängstigend. Wir beobachten uns, mustern uns, versuchen den nächsten Angriff vorauszusehen.
Einen Zeitvorsprung, einen winzigen Vorteil zu erhaschen.
Für einen kurzen Moment sehe ich so etwas wie Angst in ihren Augen.
Angst?
Was ist das überhaupt? Nur ein verwirrendes Gefühl aus irgendeiner Vergangenheit, das hier im Kampf, im Angesicht des Todes, nichts verloren hat.
Und da wird mir bewusst, dass ich siegen werde. Jesses Rufe nehme ich kaum noch wahr. Er will schießen, seine Waffe abfeuern, aber ich stehe ihm im Weg und das ist mir egal, denn der Kampf ist gleich zu Ende.
Die Bestie reißt ihr Maul auf. Übereinander liegende Zahnreihen, wie bei einem Haifisch, blecken mich an. Speichel trieft an ihnen hinunter und spritzt und tropft in langen Fäden über den Asphalt. Ich bleibe unbeeindruckt, weil ich weiß, dass sie mich einschüchtern will.
Vergebens.
Ich schwinge mein Schwert und gleichzeitig prallen wir aufeinander. Sie springt, ist über mir und für einen Moment bin ich unsicher, was ich abwehren soll. Ihren Schwanz, der durch die Luft peitscht? Das aufgerissene Maul? Den tonnenschweren Körper oder ihre rasiermesserscharfen Klauen?
In einer Vorwärtsbewegung, in einem Bruchteil einer Sekunde nehme ich alle Einzelheiten wahr. Die Zeit scheint für einen Augenblick ihre ureigene Aufgabe vergessen zu haben, nur um uns zuzusehen. Den Atem anzuhalten, zu beobachten was jetzt passiert. Wie der Kampf endet.
Und dann sehe ich die erhoffte Lücke, die einzige Möglichkeit, den Kampf jetzt zu entscheiden. Ich stoße mich vom Boden ab, werfe mich schnell und langsam zugleich, absurd und trotzdem anmutig in die Luft, hechte unter den Körper der Bestie und nur knapp verfehlen mich ihre Fänge. Die Klauen greifen ins Nichts und dann bin ich da, direkt unter ihr.
Ich drehe mich noch im Flug und weiß, dass ich gleich hart auf dem Boden aufschlagen werde. Trotzdem reiße ich meine Klinge hoch.
Wie leicht es geht, schießt es mir durch den Kopf, als ich die Bauchdecke durchstoße und mein Schwert ins Herz der Bestie ramme. Dann, ein Atemzug zwischen zwei Ewigkeiten, krache ich auf den Asphalt. Der Schmerz in meiner Schulter überfordert meine Sinne.
Ich muss mich darauf konzentrieren, meinen Körper an seine Pflicht zu atmen zu erinnern. Irgendwie versuche ich mich zur Seite zu rollen, aber es gelingt mir nicht sonderlich gut.
So schnell ich noch kann, richte ich mich auf. Mein linker Arm hängt schlaff an meiner Seite herunter.
Meine Schulter?
Explodiert. Explodiert. Explodiert vor Schmerzen.
Aber das muss mir egal sein.
Ich muss bereit sein, für ihren nächsten Angriff.
Sehe sie an. Regungslos liegt sie da.
Da kapiere ich es. Es gibt keinen nächsten Angriff. Nicht von ihr. Nicht von mir. Es ist vorbei.
Die Bestie ist tot. Sie liegt vor neben mir, erstarrt, die Augen noch immer geöffnet. So wie sie daliegt, tut sie mir sogar irgendwie leid. Komisches Gefühl. Unecht. Sie ist eine Bestie.
Trotzdem gibt es da etwas, das ich für sie empfinde. Dann bin ich
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