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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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von Kiss sein.
    Sie werden beiseite gehen…
    Noch während er diesen Gedanken hatte, machte die Frau einen Schritt nach rechts. Der Chicano ging einen Schritt nach links, so daß eine Lücke zwischen ihnen entstand. Jakes verräterische Füße trugen ihn zu dieser Lücke. Noch neun Sekunden.
    Ein Stück die Straße hinab funkelte grelles Maisonnenlicht auf der Kühlerfigur eines Cadillac. Jake wußte, es handelte sich um einen Sedan de Ville Baujahr 1976. Sechs Sekunden. Der Caddy beschleunigte. Das Licht war kurz davor, wieder umzuschalten, und der Mann, der den de Ville fuhr, der dicke Mann mit dem blauen Hut, in dessen Band keck eine Feder steckte, wollte noch über die Kreuzung rasen, ehe die Ampel endgültig umschalten konnte. Drei Sekunden. Der Mann in Schwarz hinter Jake beugte sich nach vorne. Im Ghettoblaster des jungen Mannes hörte ›Love to love you, Baby‹ auf und ›Dr. Love‹ begann.
    Zwei.
    Der Cadillac wechselte auf die Spur unmittelbar vor Jake und raste auf die Kreuzung zu, der Killerkühler fauchte.
    Eine.
    Jakes stockte der Atem im Hals.
    Keine.
    »Ah!« schrie Jake, als Hände ihn fest in den Rücken stießen, ihn schubsten, auf die Straße schubsten, aus seinem Leben schubsten…
    Aber da waren keine Hände.
    Er kippte dennoch nach vorne, ruderte hilflos mit den Armen und bildete mit dem Mund ein dunkles O des Schreckens. Der Chicano mit dem Ghettoblaster streckte die Hand aus, packte Jakes Arm und zog ihn zurück. »Paß auf, kleiner Held«, sagte er. »Der Verkehr macht Hackfleisch aus dir.«
    Der Cadillac schwebte vorüber. Jake sah ganz kurz den dicken Mann mit dem blauen Hut durch die Windschutzscheibe, dann war er vorbei.
    Da geschah es; da wurde er mitten entzweigehauen und zu zwei Jungs. Einer lag sterbend auf der Straße. Der andere stand da an der Ecke und sah benommen und fassungslos zu, wie das rote Männchen sich wieder in ein grünes verwandelte und die Leute um ihn herum über die Straße gingen, als wäre nichts passiert… und es war ja auch nichts passiert.
    Ich lebe! jubilierte sein halber Verstand und jauchzte vor Erleichterung.
    Tot! schrie die andere als Antwort. Tot auf der Straße! Alle versammeln sich um mich, und der Mann in Schwarz, der mich gestoßen hat, sagt: »Ich bin Priester. Lassen Sie mich durch.«
    Wogen des Schwindelgefühls rasten durch ihn und verwandelten sein Denken in geblähte Fallschirmseide. Er sah die dicke Frau näher kommen und warf einen Blick in ihre Tasche. Er sah die hellblauen Augen einer Puppe über den Saum eines roten Handtuchs lugen, wie er es vorhergesehen hatte. Dann war sie fort. Der Brezelverkäufer schrie nicht O mein Gott, er ist tot; er bereitete sich weiter auf das Geschäft des Tages vor, während er die Melodie des Stücks von Donna Summer summte, das der Ghettoblaster des Chicano gespielt hatte.
    Jake drehte sich um und suchte panisch nach dem Priester, der kein Priester war. Er war nicht da.
    Jake stöhnte. Komm zu dir! Was hast du denn nur?
    Er wußte es nicht. Er wußte nur, daß er in diesem Augenblick auf der Straße liegen und sterben müßte, während die dicke Frau schrie und der Typ im Kammgarnanzug sich übergab und der Mann in Schwarz sich durch die versammelte Menge drängte.
    Und in einem Teil seines Verstandes schien genau das zu passieren.
    Das Schwindelgefühl kam wieder. Plötzlich ließ Jake den Vesperkoffer auf den Boden fallen und schlug sich selbst so fest er konnte ins Gesicht. Eine Frau auf dem Weg zur Arbeit sah ihn seltsam an. Jake achtete nicht auf sie. Er ließ sein Vesper auf dem Gehweg liegen, stürzte sich auf die Kreuzung und achtete nicht auf das rote Männchen, das in diesem Augenblick wieder erschienen war. Das war jetzt einerlei. Der Tod war zu ihm gekommen… und vorübergegangen, ohne ihn eines zweiten Blickes zu würdigen. Es hatte nicht so kommen sollen, und das wußte er auf der tiefsten, grundlegendsten Ebene seiner Existenz, aber es war so gekommen.
    Vielleicht würde er jetzt ewig leben.
    Bei dem Gedanken war ihm wieder rundum nach Schreien zumute.
     
     

6
     
    Als er zur Schule kam, war sein Kopf einigermaßen klar, und sein Verstand hatte sich an die Aufgabe gemacht, ihn davon zu überzeugen, daß alles in Ordnung war, wirklich alles. Vielleicht war tatsächlich etwas Unheimliches geschehen, eine Art hellseherische Eingebung, ein kurzer Blick in eine mögliche Zukunft; na und? Kein Grund zur Aufregung, oder? Irgendwie war der Gedanke sogar geil – so etwas druckten sie

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