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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wieder auf einem anderen Blatt.
    Er stopfte die Automatik ganz unten in den Ranzen, dann tastete er wieder hinter die hängenden Ordner. Diesmal holte er eine halbvolle Schachtel Munition heraus. Er wußte noch, sein Vater hatte auf dem Polizeischießstand in der First Avenue geübt, dann aber das Interesse verloren.
    Das Dielenbrett quietschte wieder. Jake wollte hier raus.
    Er holte eines der Hemden, die er eingepackt hatte, aus dem Ranzen und wickelte das Magazin und die Schachtel Munition darin ein. Er wollte gerade gehen, als sein Blick auf den kleinen Stapel Briefpapier neben den Postein- und -ausgangskörbchen fiel. Die verspiegelte Sonnenbrille von Ray Ban, die sein Vater so gerne trug, lag zusammengeklappt auf dem Briefpapier. Er nahm ein Blatt und nach einem Augenblick des Nachdenkens auch die Sonnenbrille. Die Brille steckte er in die Brusttasche. Dann nahm er den schlanken goldenen Füller aus dem Ständer und schrieb Lieber Dad, liebe Mom unter den Briefkopf.
    Er hielt inne und betrachtete den Gruß stirnrunzelnd. Wie ging es weiter? Was genau hatte er zu sagen? Daß er sie liebte? Das entsprach der Wahrheit, aber es reichte nicht aus – alle möglichen anderen unangenehmen Tatsachen durchbohrten dieses Kernstück wie Nadeln ein Wollknäuel. Daß er sie vermissen würde? Er wußte nicht, ob das stimmte oder nicht, was irgendwie schrecklich war. Daß er hoffte, sie würden ihn vermissen?
    Plötzlich wurde ihm klar, worin das Problem bestand. Wenn er vorhätte, nur heute wegzugehen, würde ihm etwas einfallen. Aber er verspürte die beinahige Gewißheit, daß es sich nicht nur um diesen Tag handelte, diese Woche, diesen Monat oder diesen Sommer. Er hatte eine Ahnung, wenn er die Wohnung diesmal verließ, würde es für immer sein.
    Er knüllte das Blatt Papier fast zusammen, überlegte es sich dann aber doch anders. Er schrieb: Bitte paßt auf euch auf. Alles Liebe, J. Das war ziemlich dürftig, aber besser als nichts.
    Prima. Würdest du jetzt aufhören, das Schicksal auf die Probe zu stellen, und hier verschwinden?
    Das machte er.
    Es war fast totenstill in der Wohnung. Er schlich auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer, hörte aber nur das Atmen seiner Eltern: das leise Röcheln seiner Mutter, das etwas nasalere Schnarchen seines Vaters, bei dem jedes Einatmen mit einem kurzen, hohen Pfeifton endete., Der Kühlschrank fing an zu summen, als er unter der Tür stand, und Jakes Herz schlug heftig. Dann stand er vor der Tür. Er schloß sie, so leise er konnte, auf, dann ging er hinaus und zog sie behutsam hinter sich zu.
    Ein Stein schien ihm vom Herzen zu fallen, als das Schloß einrastete, und ein starkes Gefühl der Vorfreude überkam ihn. Er wußte nicht, was vor ihm lag, und hatte allen Grund zu der Annahme, daß es gefährlich sein würde, aber schließlich war er elf Jahre alt – zu jung, das exotische Entzücken zu verleugnen, das ihn plötzlich erfüllte. Vor ihm lag eine Straße – eine verborgene Straße, die weit in ein unbekanntes Land führte. Es gab Geheimnisse, die sich ihm offenbaren konnten, wenn er klug war… und wenn er Glück hatte. Er hatte sein Zuhause im kargen Licht der Dämmerung verlassen, und vor ihm lag ein großes Abenteuer.
    Wenn ich standhaft bin, wenn ich es durchstehe, werde ich die Rose sehen, dachte er, als er den Knopf des Fahrstuhls drückte. Ich weiß es… und ihn werde ich auch sehen.
    Auch das erfüllte ihn mit einem solchen Eifer, daß es an Ekstase grenzte.
    Drei Minuten später kam er unter dem Baldachin hervor, der dem Eingang des Hauses Schatten spendete, wo er sein ganzes Leben lang gelebt hatte. Er verweilte einen Augenblick, dann wandte er sich nach links. Diese Entscheidung hatte nichts Wahlloses. Er ging auf dem Pfad des Balkens nach Südosten und nahm seine eigene unterbrochene Suche nach dem Dunklen Turm wieder auf.
     
     

7
     
    Zwei Tage nachdem Eddie Roland den unfertigen Schlüssel gegeben hatte, drangen die drei Reisenden – heiß, schwitzend, müde und ausgelaugt – durch ein besonders verfilztes Dickicht von Unterholz und jungen Bäumen und fanden zwei parallel verlaufende Pfade unter den verflochtenen Ästen alter Bäume, die sich rechts und links drängten. Nach einigen Augenblicken eingehender Betrachtung kam Eddie zum Ergebnis, daß es sich nicht nur um Pfade handelte, sondern um die Überreste einer längst aufgegebenen Straße. Büsche und verkrüppelte Bäume wuchsen als häßliches Gestrüpp auf dem einstigen Mittelstreifen. Bei den

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