Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
die Antwort verraten. Der Junge im Traum.
Und plötzlich fiel ihm noch etwas ein, das Deepneau gesagt hatte: Das ist nur die halbe Antwort. Samsons Rätsel besteht aus zwei Teilen, mein Freund.
Jake sah auf die Nachttischuhr und stellte fest, es war zwanzig nach sechs. Zeit aufzustehen, wenn er hier fort sein wollte, bevor seine Eltern wach wurden. Er würde heute nicht in die Schule gehen; Jake überlegte sich, daß die Schule vielleicht für immer gestrichen war, was ihn anbelangte.
Er schlug die Bettdecke zurück, schwang die Füße auf den Boden und stellte fest, daß er an beiden Knien Aufschürfungen hatte. Frische Aufschürfungen. Er hatte sich gestern die linke Seite gestoßen, als er auf den Steinen ausgerutscht und gefallen war, und er hatte sich den Kopf angeschlagen, als er bei der Rose das Bewußtsein verloren hatte, aber mit seinen Knien war nichts passiert.
»Das ist in dem Traum geschehen«, flüsterte Jake und mußte feststellen, daß er nicht im geringsten überrascht war. Er zog sich rasch an.
5
Ganz hinten in seinem Schrank fand er unter einem Durcheinander von alten Turnschuhen ohne Schnürsenkel und einem Stapel Spiderman -Comics den Schulranzen, den er in der Grundschule getragen hatte. In der Piper würde sich ums Verrecken niemand mit einem Ranzen erwischen lassen, den man auf dem Rücken trug – wie gewöhnlich, meine Güte –, und als Jake ihn ergriff, verspürte er eine Woge übermächtiger Sehnsucht nach den alten Zeiten, als das Leben noch so einfach gewesen war.
Er verstaute ein sauberes Hemd, ein frisches Paar Jeans, etwas Unterwäsche und Socken darin, dann fügte er Ringelrätselreihen und Charlie Tschuff-Tschuff hinzu. Er hatte den Schlüssel auf den Schreibtisch gelegt, bevor er im Schrank nach dem alten Schulranzen gesucht hatte, und die Stimmen hatten sofort wieder eingesetzt, aber sie waren fern und gedämpft. Außerdem war er sicher, er konnte sie ganz zum Schweigen bringen, wenn er den Schlüssel in die Hand nahm, und das beruhigte ihn.
Okay, dachte er und sah in den Ranzen. Selbst mit den Büchern hatte er noch jede Menge Platz. Was noch?
Einen Moment dachte er, sonst nichts mehr, aber dann fiel es ihm ein.
6
Im Arbeitszimmer seines Vaters roch es nach Zigaretten und Ehrgeiz.
Es wurde von einem riesigen Teakholzschreibtisch beherrscht. Auf der anderen Seite des Zimmers, an einer Wand, die sonst mit Büchern vollgestellt war, waren vier Fernsehmonitoren von Mitsubishi eingelassen. Jeder war auf einen der großen Konkurrenzsender eingestellt, und nachts, wenn sein Vater hier drinnen war, gab jeder seine Abfolge Bilder zur besten Sendezeit von sich, aber der Ton blieb ausgeschaltet.
Die Vorhänge waren zugezogen, und Jake mußte die Schreibtischlampe einschalten, damit er sehen konnte. Allein hier drinnen zu sein, machte ihn nervös. Sollte sein Vater aufwachen und hereinkommen (was möglich war; wie spät er auch ins Bett ging oder wieviel er trank, Elmer Chambers hatte immer einen leichten Schlaf und war ein Frühaufsteher), würde er böse werden. Was einen sauberen Abgang mindestens erschweren würde. Je früher er hier wieder draußen war, desto erleichterter würde sich Jake fühlen.
Der Schreibtisch war abgeschlossen, aber sein Vater hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, wo er den Schlüssel aufbewahrte. Jake streckte die Finger unter die Schreibtischunterlage und fischte ihn hervor. Er machte die dritte Schublade auf, griff unter die hängenden Ordner und berührte kaltes Metall.
Ein Dielenbrett quietschte auf dem Flur, und Jake erstarrte. Als sich das Quietschen nicht wiederholte, zog Jake die Waffe heraus, die sein Vater dort aufbewahrte – eine 44er Ruger Automatik. Sein Vater hatte Jake die Waffe an dem Tag, als er sie kaufte, mit großem Stolz gezeigt – vor zwei Jahren war das gewesen. Er war vollkommen taub für das nervöse Beharren seiner Frau gewesen, er sollte sie wegschließen, bevor jemand zu Schaden kam.
Jake ertastete den Knopf an der Seite, der das Magazin herausspringen ließ. Dieses fiel ihm mit einem metallischen Schnack! in die Hand, das in der stillen Wohnung sehr laut wirkte. Er sah wieder nervös zur Tür, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Magazin. Es war voll. Er wollte es schon in die Waffe schieben, holte es dann aber doch wieder heraus. Eine geladene Waffe in einer geschlossenen Schreibtischschublade aufzubewahren, gut und schön; aber eine in New York City herumzutragen – das stand
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