Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
nicht…«
Roland sagte nichts, aber seine blaßblauen Augen betrachteten Eddie mit ihrem geduldigen Ausbilderblick.
»Na gut«, sagte Eddie. »Ich habe Angst, daß ich ihn versaue. Zufrieden?«
»Laut deinem Bruder hast du alles versaut… ist das nicht so?« fragte Susannah.
»Susannah Dean, Psychologin. Du hast den Beruf verfehlt, Süße.«
Susannah war durch den Sarkasmus nicht vor den Kopf gestoßen. Sie hob den Wasserschlauch mit dem Ellbogen wie ein Saufkumpan den Krug und trank in vollen Zügen. »Es stimmt aber, oder nicht?«
Eddie, dem klar war, daß er auch die Schleuder nicht fertig geschnitzt hatte – noch nicht –, zuckte die Achseln.
»Du mußt ihn fertigstellen«, sagte Roland nachsichtig. »Ich glaube, der Zeitpunkt kommt, da du ihn benützen mußt.«
Eddie wollte etwas sagen, dann klappte er den Mund zu. Es hörte sich so einfach an, wenn man es so frei heraus sagte, aber keiner verstand das Wesentliche. Das Wesentliche war dies: Siebzig Prozent oder achtzig würden einfach nicht reichen, nicht einmal achtundneunzigeinhalb. Diesmal nicht. Wenn er es diesmal versaute, konnte er nicht einfach das Ding über die Schulter werfen und weiterziehen. Zunächst einmal hatte er keine Esche mehr gesehen, seit er dieses spezielle Stück Holz geschnitzt hatte. Aber was ihm am allermeisten zusetzte, war dies: Es ging um alles oder nichts. Wenn er sich nur einen Patzer erlaubte, würde sich der Schlüssel nicht drehen, wenn er sich drehen sollte. Und diese kleine Rundung am Ende machte ihn zunehmend nervös. Es sah so einfach aus, aber wenn die Krümmung nicht hundertprozentig stimmte…
Aber so, wie er ist, wird er auch nicht funktionieren; das weißt du.
Er seufzte und sah den Schlüssel an. Ja, das wußte er. Er mußte versuchen, ihn zu vollenden. Seine Angst zu versagen würde es noch schwerer machen, als es ohnehin schon war, aber er mußte die Angst überwinden und es trotzdem versuchen. Vielleicht konnte er es sogar durchziehen. Weiß Gott, er hatte eine Menge durchgezogen, seit Roland an Bord eines Delta-Jets auf dem Weg zum JFK-Flughafen in seinen Verstand eingedrungen war. Daß er noch am Leben und geistig gesund war, das war an sich schon eine Leistung.
Eddie gab Roland den Schlüssel zurück. »Trag ihn noch eine Weile«, sagte er. »Ich mache mich wieder an die Arbeit, wenn wir einen Rastplatz für die Nacht gefunden haben.«
»Versprochen?«
»Ja.«
Roland nickte, nahm den Schlüssel und knotete die Wildlederschnur wieder zu. Er machte es langsam, aber Eddie entging nicht, wie behende er die verbliebenen zwei Finger der rechten Hand bewegte. Der Mann war anpassungsfähig, das mußte man ihm lassen.
»Es wird etwas passieren, oder nicht?« fragte Susannah plötzlich.
Eddie sah zu ihr auf. »Wie kommst du darauf?«
»Ich schlafe bei dir, Eddie, und ich weiß, daß du jede Nacht träumst. Manchmal redest du auch. Es scheinen nicht gerade Alpträume zu sein, aber es ist ziemlich deutlich, daß etwas in deinem Kopf vor sich geht.«
»Ja. Das stimmt. Ich weiß nur noch nicht, was es ist.«
»Träume haben große Macht«, bemerkte Roland. »Kannst du dich überhaupt nicht an deine erinnern?«
Eddie zögerte. »Ein wenig, aber sie sind ziemlich wirr. Ich bin wieder ein Kind, soviel weiß ich. Die Schule ist aus. Henry und ich spielen auf dem alten Spielplatz in der Markey Avenue, wo heute das Jugendgericht steht. Ich möchte, daß Henry mich zu einem Haus in Dutch Hill bringt. Einem alten Haus. Die Kinder nennen es die ›Villa‹, und alle sagen, daß es dort spukt. Was vielleicht sogar gestimmt hat. Es war unheimlich dort, das weiß ich noch. Echt unheimlich.«
Eddie schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Ich habe zum erstenmal seit Jahren an die Villa gedacht, als wir auf der Lichtung des Bären waren und ich den Kopf dicht an diesen merkwürdigen Pavillon gehalten habe. Weiß nicht – vielleicht habe ich deswegen den Traum.«
»Aber du glaubst es nicht«, sagte Susannah.
»Nein, ich glaube, was da vorgeht, das ist weitaus komplizierter als nur die Erinnerung an etwas.«
»Seid ihr – du und dein Bruder – wirklich an diesem Ort gewesen?« fragte Roland.
»Ja – ich habe ihn dazu überredet.«
»Und ist etwas passiert?«
»Nein. Aber es war unheimlich. Wir standen da und haben das Haus eine Weile angesehen, und Henry hat mich aufgezogen – er hat gesagt, ich müßte reingehen und ein Andenken mitbringen, so etwas –, aber ich wußte, es war eigentlich nicht sein Ernst. Er
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