Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Sandelholzgriff seines zweiten Revolvers und zog diesen ein kleines Stück aus dem Halfter. »Aber kein Waldläufer hat jemals so etwas getragen, und wenn es Älteste in diesem Dorf gibt, dann werden sie das wissen. Gehen wir.«
Jake sah nach hinten und gewahrte den Bumbler, der mit der Schnauze zwischen den Vorderpfoten auf der Straße lag und sie genauestens betrachtete. »Oy!« rief Jake.
»Oy!« wiederholte der Bumbler und sprang sofort auf die Beine.
Sie schritten den schattigen Wall zum Dorf hinab, und Oy trottete hinter ihnen her.
4
Zwei Häuser am Ortsrand waren verbrannt; der Rest des Dorfs schien unversehrt zu sein, wenn auch staubig. Sie kamen an einem verlassenen Viehpferch links vorbei, einem Gebäude rechts, bei dem es sich um ein Geschäft handeln konnte, und dann befanden sie sich auf dem Gelände des Dorfs, wie es war. Etwa ein Dutzend baufällige Häuser standen auf beiden Straßenseiten. Zwischen einigen verliefen schmale Gassen. Die andere Straße, ein weitgehend mit Steppengras überwucherter Feldweg, verlief von Nordosten nach Südwesten.
Susannah sah den nordöstlichen Arm entlang und dachte: Einst fuhren Barken auf dem Fluß, und irgendwo an dieser Straße lag ein Hafen und wahrscheinlich noch ein baufällige kleine Siedlung, hauptsächlich Saloons und Bordelle. Dies war der letzte Handelsposten, bevor die Barken weiter zur Stadt fuhren. Die Wagen kamen auf dem Weg dorthin hier durch, und wieder zurück. Wie lange ist das her?
Sie wußte es nicht – aber es mußte lang her sein, so wie die Stadt aussah.
Irgendwo quietschte ein rostiges Scharnier monoton. Anderswo schlug ein Holzladen einsam im Steppenwind hin und her.
Vor der Häusern befanden sich Geländer zum Festzurren, die meisten in Trümmern. Einst waren Gehwege aus Brettern da gewesen, aber die Bretter waren heute weitgehend verschwunden; Gras wuchs durch die Löcher, wo sie gewesen waren. Die Schilder an den Häusern waren verblaßt, aber manche konnte man noch lesen – sie waren in der verballhornten Form des Englischen geschrieben, die Roland die niedere Sprache nannte. ESSEN UND GETREIDE stand auf einem, und sie vermutete, es sollte Futter und Getreide heißen. An der Fassade daneben standen unter einer linkischen Zeichnung von Büffeln im Gras die Worte: AUSRUHEN ESSEN TRINKEN. Unter diesem Schild hingen schiefe Schwingtüren, die sich leicht im Wind bewegten.
»Ist das ein Saloon?« Sie wußte nicht genau, weshalb sie flüsterte, aber sie hätte nicht mit normaler Stimme sprechen können. Es wäre gewesen, als würde man mit dem Banjo ›Clinch Mountain Breakdown‹ bei einer Beerdigung spielen.
»Es war einer«, sagte Roland. Er flüsterte nicht, aber seine Stimme klang gedämpft und nachdenklich. Jake ging dicht an seiner Seite und sah sich nervös um. Oy hinter ihnen hatte die Entfernung auf zehn Meter verringert. Er trottete rasch dahin und schwang den Kopf wie ein Pendel von einer Seite zur anderen, während er die Gebäude begutachtete.
Jetzt konnte es auch Susannah spüren: das Gefühl, als würden sie beobachtet werden. Es war genau, wie Roland es beschrieben hatte: als wäre Sonnenschein von Schatten verdrängt worden.
»Es sind Menschen hier, richtig?« flüsterte sie.
Roland nickte.
An der nordöstlichen Ecke der Kreuzung stand ein Gebäude mit einem Schild, das sie auch entziffern konnte: HOTEL, stand darauf, und: BETTEN. Abgesehen von einer Kirche mit schiefem Turm weiter vorne war es das größte Gebäude des Dorfs – drei Stockwerke. Sie sah hoch und erspähte gerade noch etwas Weißes – sicher ein Gesicht –, das sich von einem der glaslosen Fenster zurückzog. Plötzlich wollte sie weg von hier. Roland gab jedoch einen langsamen, gleichmäßigen Schritt vor, und sie glaubte, den Grund dafür zu kennen: Eile konnte den Beobachtern den Eindruck vermitteln, als hätten sie Angst… als könnte man sie überfallen. Dennoch…
An der Kreuzung wurden beide Straßen breiter und bildeten einen Platz, der von Gras und Unkraut in Besitz genommen worden war. In der Mitte stand ein erodierter Wegstein. Darüber hing ein Metallkästchen an einem rostigen, schlaffen Kabel.
Roland ging mit Jake an seiner Seite zu dem Wegstein. Eddie schob Susannahs Rollstuhl hinter ihnen her. Gras flüsterte in den Speichen, und der Wind kitzelte sie mit einer Haarlocke an der Wange. Ein Stück weiter die Straße hinab polterte der Fensterladen, und das Scharnier quietschte. Sie erschauerte und strich das Haar
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