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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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durchdringender denn je an. »Woher weißt du, daß dies hier Mittwelt ist? Du warst nicht bei uns, als wir den Wegstein gefunden haben.«
    Jake stopfte die Hände in die Hosentaschen und sah auf seine Mokassins. »Ich hab’s geträumt«, sagte er knapp. »Du glaubst doch nicht, daß ich diese Reise im Reisebüro meines Vaters gebucht habe, oder?«
    Roland berührte Eddie an der Schulter. »Belaß es vorerst dabei.« Eddie sah Roland kurz an und nickte.
    Sie blieben noch eine Weile stehen und betrachteten die Brücke. Sie hatten Zeit gehabt, sich an die Silhouette der Stadt zu gewöhnen, aber dies war etwas anderes. Die Brücke träumte in der Ferne, ein vager Umriß, der ins Blau des Vormittagshimmels geätzt war. Roland konnte vier Paar unvorstellbar hoher Türme aus Metall erkennen – eines an jedem Ende der Brücke, zwei in der Mitte –, die mit dicken Kabeln verbunden waren. Zwischen diesen und dem Ansatz der Brücke verliefen viele vertikale Linien – entweder mehr Kabel oder Metallstreben, das konnte er nicht sagen. Aber er sah auch Lücken und stellte nach längerem Hinsehen fest, daß die Brücke nicht mehr völlig eben war.
    »Ich glaube, diese Brücke wird bald in den Fluß stürzen«, sagte Roland.
    »Nun, vielleicht«, meinte Eddie widerwillig, »aber ich finde, so schlimm sieht sie gar nicht aus.«
    Roland seufzte. »Mach dir nicht zu viele Hoffnungen, Eddie.«
    »Was soll das heißen?« Eddie hörte, wie gereizt seine Stimme klang, aber nun war es zu spät, das zu ändern.
    »Es heißt, ich möchte, daß du deinen Augen traust, Eddie – das ist alles. Als ich aufwuchs, gab es ein Sprichwort: ›Nur ein Narr glaubt, daß er träumt, bevor er aufwacht.‹ Verstehst du?«
    Eddie lag eine sarkastische Antwort auf der Zunge, aber er schluckte sie nach einem kurzen inneren Kampf hinunter. Es war nur, daß Roland eine Art hatte – unabsichtlich, da war er sicher, aber deshalb nicht leichter zu ertragen –, bei der er, Eddie, sich wie ein Kind vorkam.
    »Ich glaube ja«, sagte er schließlich. »Es bedeutet dasselbe wie das Lieblingssprichwort meiner Mutter.«
    »Und wie lautete das?«
    »Das Beste hoffen und mit dem Schlimmsten rechnen.«
    Rolands Gesicht wurde von einem Lächeln erhellt. »Ich glaube, das Sprichwort deiner Mutter gefällt mir besser.«
    »Aber sie steht noch!« platzte Eddie heraus. »Zugegeben, sie ist nicht im besten Zustand – wahrscheinlich hat sie seit tausend Jahren niemand mehr gründlich gewartet –, aber sie steht noch. Wie die ganze Stadt! Ist es so schlimm zu hoffen, wir könnten dort etwas finden, das uns weiterhilft? Oder Menschen, die uns zu essen geben und mit uns reden wie die alten Leutchen in River Crossing, statt auf uns zu schießen? Ist es so schlimm zu glauben, das Blatt könnte sich wenden?«
    In der anschließenden Stille wurde Eddie verlegen klar, daß er eine Rede gehalten hatte.
    »Nein.« Rolands Stimme klang gütig – eine Güte, die Eddie immer wieder überraschte, wenn er sie hörte. »Es ist niemals schlimm zu hoffen.« Er sah Eddie und die anderen wie ein Mann an, der aus einem Traum erwacht. »Für heute sind wir weit genug gereist. Ich glaube, es wird Zeit, daß wir unser eigenes Palaver abhalten, und das wird eine Weile dauern.«
    Der Revolvermann ging von der Straße ins hohe Gras, ohne sich noch einmal umzusehen. Nach einem Augenblick folgten ihm die anderen drei.
     
     

18
     
    Bis sie die alten Leute in River Crossing getroffen hatten, hatte Susannah Roland stets als Figur aus einer der Fernsehserien betrachtet, die sie sich selten angesehen hatte: Cheyenne, The Riflemen und natürlich Rauchende Colts. Das hatte sie sich manchmal im Radio angehört, bevor es im Fernsehen gesendet worden war. (Sie überlegte sich, wie fremd Eddie und Jake das Konzept eines Hörspiels sein mußte und lächelte – Rolands Welt war nicht die einzige, die sich weitergedreht hatte.) Sie konnte sich noch erinnern, was der Sprecher zu Beginn jeder Rundfunksendung gesagt hatte: »Es macht einen Mann achtsam – und ein wenig einsam…«
    Bis River Crossing hatte Roland das für sie vollkommen verkörpert. Er war nicht breitschultrig wie Marshai Dillon, auch nicht annähernd so groß, und sein Gesicht kam ihr mehr wie das eines resignierten Dichters denn eines Gesetzeshüters aus dem Wilden Westen vor, aber sie hatte ihn dennoch als eine real existierende Version jenes erfundenen Streiters für den Frieden gesehen, dessen einziger Lebenszweck (abgesehen von einem

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