Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
allerletzten Vorräte serviert haben. Und wir wären richtige Drecksäcke, wenn wir nicht ersetzt hätten, was wir ihnen weggenommen haben, richtig? Zumal wir Schußwaffen haben, und sie bestenfalls ein paar Bogen und fünfzig oder hundert Jahre alte Pfeile. Also wären wir für sie auf die Jagd gegangen. Bis dahin wäre es Nacht gewesen, und wenn wir am nächsten Morgen wieder aufgestanden wären, hätte Susannah gesagt, wir sollten zumindest noch ein paar Reparaturen ausführen, bevor wir weiterziehen – oh, natürlich nicht an der Fassade der Stadt, das wäre gefährlich gewesen, aber vielleicht in dem Hotel oder wo immer sie auch wohnen. Nur ein paar Tage, und was sind schon ein paar Tage, richtig?«
Roland tauchte aus dem Halbdunkel auf. Er bewegte sich so lautlos wie immer, sah aber müde und erschöpft aus. »Ich habe mir gedacht, ihr beiden wärt vielleicht in ein Treibsandloch gefallen«, sagte er.
»Nee. Ich habe Jake nur gerade die Fakten erläutert, wie ich sie! sehe.«
»Und was wäre daran schlimm gewesen?« fragte Jake. »Dieses Dunkle Türmchen steht schon sehr lange Zeit dort, wo es ist, richtig? Es wird nicht weggehen, oder?«
»Ein paar Tage, dann noch ein paar, dann noch ein paar.« Eddie betrachtete den Ast, den er gerade aufgehoben hatte, und warf ihn angewidert wieder weg. Ich höre mich schon an wie er, dachte er. Und doch wußte er, daß er nur die Wahrheit sagte. »Vielleicht würden wir dafür sorgen, daß ihr Brunnen wieder in Gang kommt, und es wäre unhöflich, einfach weiterzuziehen, bevor wir ihn zu Ende gegraben haben. Aber weshalb sollten wir es dabei belassen, wo wir doch ein paar Wochen dranhängen und ihnen ein Wasserrad bauen könnten, richtig? Sie sind alt und sollten ebensowenig Wasser aus dem Brunnen hochziehen müssen, wie sie Büffel zu Fuß jagen sollten.« Er sah Roland an, und seine Stimme klang vorwurfsvoll. »Ich will dir was sagen – wenn ich mir vorstelle, wie Bill und Till da draußen eine Herde wilder Büffel verfolgen, bekomme ich eine Gänsehaut.«
»Das machen sie schon lange Zeit«, sagte Roland, »und ich denke, sie könnten uns noch das eine oder andere beibringen. Die kommen zurecht. Laßt uns lieber Holz sammeln – es wird eine kalte Nacht.«
Aber für Jake war das Thema noch nicht erledigt. Er sah Eddie eindringlich – fast streng – an. »Willst du damit sagen, wir könnten nie genug für sie tun, ja?«
Eddie schob die Unterlippe vor und blies sich das Haar aus der Stirn. »Nicht unbedingt. Ich sage nur, es würde nie leichterfallen weiterzuziehen als heute. Schwerer vielleicht, aber nicht leichter.«
»Es ist trotzdem nicht richtig.«
Sie kamen zu dem Platz, der, sobald das Feuer entfacht war, zu einer weiteren Lagerstelle auf dem Weg zum Dunklen Turm wurde. Susannah hatte sich aus dem Rollstuhl gestemmt, lag auf dem Rücken, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und sah zu den Sternen hinauf. Nun richtete sie sich auf und schichtete das Holz so zurecht, wie Roland es ihr vor Monaten gezeigt hatte.
»Was richtig ist – genau darum geht es hier«, sagte Roland. »Aber wenn man zu lange das kleine Richtige ansieht, Jake – das unmittelbar vor einem liegt –, dann verliert man leicht das große Richtige aus den Augen, das weiter entfernt ist. Alles ist aus den Fugen – es ist schiefgegangen und wird immer schlimmer. Wir sehen es um uns herum, aber die Lösung ist noch weit entfernt. Während wir den zwanzig oder dreißig Menschen helfen, die noch in River Crossing leben, können anderswo zwanzig- oder dreißigtausend sterben. Und wenn es einen Ort im Universum gibt, wo man das alles wieder in Ordnung bringen kann, dann ist es der Dunkle Turm.«
»Warum? Wie?« fragte Jake. »Was ist dieser Turm eigentlich?«
Roland kauerte sich neben die Feuerstelle, die Susannah aufgeschichtet hatte, holte Stahl und Feuerstein heraus und schlug Funken ins Anfeuerholz. Wenig später züngelten kleine Flammen zwischen den Zweigen und trockenen Grasbüscheln empor. »Diese Fragen kann ich nicht beantworten«, sagte er. »Ich wünschte, ich könnte es.«
Das, dachte Eddie bei sich, war eine ungeheuer schlaue Antwort. Roland hatte gesagt: Das kann ich nicht beantworten… aber das war etwas anderes als: Das weiß ich nicht. Etwas ganz anderes.
15
Das Abendessen bestand aus Wasser und Gemüse. Sie erholten sich alle noch von der üppigen Mahlzeit in River Crossing, und selbst Oy nahm die Reste nicht an, die Jake ihm zuwarf, nachdem er
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