Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Ozeane, Roland. Angeblich verhext. Vielleicht ist das eine riesengroße Tür zwischen unseren Welten – die fast immer offen ist.« Eddie ließ die Schultern hängen und präsentierte eine schlechte Nachahmung von Rod Serling: »Schnallen Sie sich an und bereiten Sie sich auf Turbulenzen vor: Sie fliegen in… die Roland-Zone.«
Jake und Roland, die jetzt unter der verbliebenen Tragfläche des Flugzeugs standen, achteten nicht auf ihn.
»Heb mich hoch, Roland.«
Roland schüttelte den Kopf. »Dieser Flügel sieht solide aus, ist es aber nicht. Das Ding liegt schon lange hier, Jake. Du würdest stürzen.«
»Dann mach mir eine Räuberleiter.«
Eddie sagte: »Das mach ich, Roland.«
Roland betrachtete einen Moment seine verstümmelte rechte Hand, zuckte die Achseln und verschränkte die Hände ineinander. »Es geht schon. Er ist leicht.«
Jake schüttelte die Mokassins ab und stieg behende auf die Leiter, die Roland bildete. Oy fing schrill an zu bellen, aber Roland vermochte nicht zu sagen ob vor Aufregung oder Angst.
Jakes Brust drückte jetzt gegen eine der rostigen Klappen des Flugzeugs und hatte das Symbol von Faust und Blitz direkt vor Augen. Am Rand der Tragfläche war es ein wenig abgeblättert. Er ergriff die lose Stelle und zog. Es löste sich so leicht, daß er nach hinten gefallen wäre, hätte Eddie, der unmittelbar hinter ihm stand, ihn nicht mit einer Hand am Hosenboden gestützt.
»Ich hab’s gewußt«, sagte Jake. Unter Faust und Blitz befand sich ein anderes Symbol, das jetzt fast völlig frei lag. Es war ein Hakenkreuz. »Ich wollte mich nur vergewissern. Jetzt kannst du mich runterlassen.«
Sie machten sich wieder auf den Weg, aber sie konnten die Heckflosse des Flugzeugs jedesmal sehen, wenn sie sich an diesem Nachmittag umdrehten; sie ragte aus dem hohen Gras heraus wie der Gedenkstein auf dem Grabmal von Lord Perth.
2
An diesem Abend war Jake mit Feuermachen an der Reihe. Als das Holz zur Zufriedenheit des Revolvermanns aufgeschichtet war, gab er Jake Stahl und Feuerstein. »Mal sehen, wie du das machst.«
Eddie und Susannah saßen auf der Seite und hatten einander verliebt die Arme um die Taillen geschlungen. Gegen Ende des Tages hatte Eddie eine hellgelbe Blume am Wegesrand gefunden und für sie gepflückt. Heute abend trug Susannah sie im Haar, und jedesmal, wenn sie Eddie ansah, verzog sie die Lippen zu einem unmerklichen Lächeln, und ihre Augen leuchteten. Roland entging es nicht, und es freute ihn. Ihre Liebe wuchs, wurde stärker. Das war gut. Sie mußte wahrlich stark und unerschütterlich sein, wenn sie die vor ihnen liegenden Monate und Jahre überleben wollte.
Jake schlug einen Funken, doch dieser fuhr Zentimeter am Anfeuerholz vorbei.
»Geh näher mit dem Feuerstein hin«, sagte Roland, »und halt ihn ruhig. Und schlag nicht mit dem Stahl darauf, Jake; kratz daran.«
Jake versuchte es noch einmal, und nun stob der Funke direkt ins Feuerholz. Ein wenig Rauch kräuselte sich hoch, aber keine Flamme.
»Ich glaube, darin bin ich nicht sehr gut.«
»Du kommst schon dahinter. Derweil denk über folgendes nach: Was wird bekleidet, wenn die Nacht hereinbricht, und entkleidet, wenn der Tag beginnt?«
»Hm?«
Roland schob Jakes Hände noch näher zu der kleinen Feuerstelle. »Ich glaube, das steht nicht in deinem Buch.«
»Oh, es ist ein Rätsel!« Jake schlug wieder einen Funken. Diesmal züngelte eine kleine Flamme im Anfeuerholz, die allerdings wieder erlosch. »Kennst du auch ein paar?«
Roland nickte. »Nicht nur ein paar – viele. Als Junge muß ich tausend gekannt haben. Sie gehörten zu meiner Ausbildung.«
»Echt? Warum sollte jemand Rätsel lernen?«
»Vannay, mein Lehrer, hat gesagt, ein Junge, der Rätsel lösen kann, kann um die Ecke denken. Wir führten jeden Freitagnachmittag einen Rätselwettbewerb durch, und der Junge oder das Mädchen, das siegte, durfte die Schule früher verlassen.«
»Hast du oft früher gehen dürfen, Roland?« fragte Susannah.
Er schüttelte den Kopf und lächelte ein wenig. »Ich hatte Spaß an den Rätseln, aber ich war nie sehr gut. Vannay hat gesagt, das läge daran, daß ich zuviel nachdachte. Mein Vater sagte, ich hätte zu wenig Fantasie. Ich glaube, sie hatten beide recht… aber ich finde, mein Vater ist der Wahrheit ein wenig nähergekommen. Ich konnte die Waffe immer schneller ziehen als meine Klassenkameraden, und genauer schießen, aber um Ecken denken konnte ich nie besonders gut.«
Susannah, die
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