Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
wegzustreichen.
»Du bist durch«, grunzte Schlitzer schließlich und kroch mit der Behendigkeit langer Übung unter der Stolperfalle durch. Er stand auf und schnappte sich Jakes Ranzen, ehe dieser ihn wieder aufziehen konnte. »Was ist da drin, Jüngelchen?« fragte er, machte die Gurte auf und sah hinein. »Haste was Hübsches für dein’ alten Kumpel drin? Der Schlitzermann liebt Überraschungen, so isses!«
»Da ist nichts drin, außer…«
Schlitzers Hand schnellte vorwärts und schleuderte Jakes Kopf mit einer ruckartigen Bewegung zurück, bei der wieder blutiger Schaum aus der Nase des Jungen spritzte.
»Warum haben Sie das gemacht?« fragte Jake wütend und verletzt.
»Weilde mir was gesagt hast, was ich mit mein’ eigenen Scheißaugen sehn kann!« schrie Schlitzer und warf Jakes Ranzen beiseite. Er fletschte die verbliebenen Zähne zu einem bedrohlichen Grinsen und sah den Jungen an. »Und weilde fast die ganze beschissene Anlage auf uns hast stürzen lassen!« Er verstummte, dann fügte er mit leiser Stimme hinzu: » Und weil ich Lust dazu gehabt hab’, das muß ich zugem. Dein dummes Schafsgesicht versetzt mich ziemlich inne Draufschlagstimmung, so isses!« Das Grinsen wurde breiter und entblößte weißes, triefendes Zahnfleisch, ein Anblick, auf den Jake hätte verzichten können. »Wenn dein hartgesottener Freund uns bis hierher folgen sollte, wird er ne Überraschung erleben, wenner gegen diese Drähte läuft, was?« Schlitzer sah immer noch grinsend auf. »Soweit ich mich erinnern kann, balanciert da oben irgendwo ‘n städtischer Bus.«
Jake fing an zu weinen – müde, hoffnungslose Tränen, die schmale Kanäle in der Staubschicht auf seinem Gesicht bildeten.
Schlitzer hob eine offene, bedrohliche Hand. »Beweg dich, Bübchen, bevor ich selbst anfang zu weinen… is nämlich ‘n oller sentimentaler Bursche, dein alter Kumpel, das isser, und wenner anfängt zu heulen und zu jammern, dann bringt ihn nur ‘n bißchen Hauen wieder zum Lachen. Lauf!«
Sie liefen. Schlitzer wählte Wege, die immer tiefer in das stinkende, knirschende Labyrinth führten, scheinbar wahllos; und er tat seine Wahl mit festen Schlägen auf die Schultern kund. Irgendwann einmal setzten die Trommeln ein. Sie schienen von überall und nirgends zu kommen, und das war für Jake der letzte Tropfen. Er ließ Hoffnung und bewußtes Denken fahren und ergab sich dem Alptraum rückhaltlos.
17
Roland blieb vor der Barrikade stehen, die die Straße von einer Seite zur anderen und von oben nach unten versperrte. Im Gegensatz zu Jake hegte er nicht die Hoffnung, auf der anderen Seite wieder im Freien herauszukommen. Die Häuser, die östlich von diesem Punkt lagen, waren von Wachtposten bewohnte Inseln in einem Binnenmeer aus Müll, Werkzeugen, Artefakten… und Fallen, daran zweifelte er nicht. Einige dieser Überbleibsel lagen zweifellos noch da, wo sie vor fünfhundert oder siebenhundert oder tausend Jahren umgestürzt waren, aber der Großteil war sicherlich Stück für Stück von den Grauen hierhergeschleppt worden. Der östliche Teil von Lud war sozusagen zur Burg der Grauen geworden, und Roland stand nun vor ihrer Mauer.
Er ging langsam weiter und sah die Öffnung eines Durchgangs halb verborgen hinter einem unebenmäßigen Betonblock. Im pulvrigen Staub davor waren Fußabdrücke zu sehen – zwei verschiedene, kleine und große. Roland wollte aufstehen, sah wieder hin und kauerte sich erneut hinab. Nicht zwei, sondern drei; die dritten stammten von den Pfoten eines kleinen Tiers.
»Oy?« rief Roland leise. Einen Augenblick kam keine Antwort, dann ertönte ein kurzes, leises Bellen aus den Schatten. Roland betrat den Durchgang und sah Augen mit goldenen Ringen, die ihn von der ersten schiefen Ecke ansahen. Roland schlurfte zu dem Bumbler. Oy, der immer noch nicht gerne in die Nähe von Menschen kam, ausgenommen Jake, wich einen Schritt zurück, doch dann verteidigte er seine Position und sah ängstlich zu dem Revolvermann auf.
»Möchtest du mir helfen?« fragte Roland. Er konnte den trockenen roten Vorhang des Jagdfiebers an den Rändern seines Bewußtseins spüren, aber dies war nicht der Zeitpunkt dafür… Der Zeitpunkt würde kommen, aber vorläufig durfte er sich diese unvorstellbare Erleichterung nicht gönnen. »Mir helfen, Jake zu finden?«
»Ake!« bellte Oy, der Roland immer noch mit ängstlichem Blick ansah.
»Dann los. Such ihn.«
Oy drehte sich sofort um und lief rasch den Gang entlang,
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