Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Spiegel…‹
Gott verfluche dich.
Kein Gott hat mich verflucht.
Werd nicht vorlaut, Ding. Ich bin stärker als du.
…
Wie nennt man dich? Sternendirne? Hure der Winde?
Manche leben von Liebe, welche zu den alten Stätten kommt… selbst in so traurigen und bösen Zeiten. Manche, Revolvermann, leben von Blut. Sogar, wie ich weiß vom Blut kleiner Jungen.
Kann er nicht verschont werden?
Doch.
Wie?
Laß ab, Revolvermann. Brich dein Lager ab und reise nach Westen. Im Westen besteht noch Nachfrage nach Männern, die von der Kugel leben.
Ich bin durch meines Vaters Pistolen und durch Martens Verrat gebunden.
Marten ist nicht mehr. Der Mann in Schwarz hat seine Seele verschlungen. Das weißt du.
Ich bin gebunden.
Dann bist du verflucht.
Benütze mich für deine Zwecke, Hure.
Eifer.
Der Schatten schwang sich über ihn, umhüllte ihn. Plötzliche Ekstase, welche lediglich von einer Milchstraße der Schmerzen unterbrochen wurde, so schwach und hell wie uralte Sterne, die im Untergang rot wurden. Auf dem Höhepunkt ihres Liebesaktes kamen ungebeten Gesichter zu ihm: Sylvia Pittston, Alice, die Frau aus Tull, Susan, Aileen, hundert andere.
Und schließlich, eine Ewigkeit später, stieß er sie von sich; er war wieder bei klarem Verstand, müde bis auf die Knochen und voller Ekel.
Nein! Es ist noch nicht genug! Es…
»Laß mich in Ruhe«, sagte der Revolvermann. Er richtete sich auf und wäre beinahe vom Altar gestürzt, bevor er auf die Füße kam. Sie faßte ihn zögernd an
(Geißblatt, Jasmin, duftendes Rosenöl)
und er stieß sie heftig von sich und fiel auf die Knie.
Er richtete sich strauchelnd auf und torkelte trunken zum Rand des Kreises. Er taumelte hinaus und spürte, wie ihm eine gewaltige Last von den Schultern fiel. Er holte erschauernd und schluchzend Atem. Als er sich entfernte, konnte er spüren, wie sie an den Gitterstäben ihres Gefängnisses stand und ihm nachsah, wie er von ihr ging. Er fragte sich, wie lange es dauern mochte, bis wieder jemand die Wüste durchquerte und sie hungrig und allein hier vorfand. Einen Augenblick fühlte er sich zwergenhaft angesichts der Möglichkeiten der Zeit.
2
»Du bist krank.«
Jake sprang auf, als der Revolvermann zwischen den letzten Bäumen hervorkam und ins Lager wankte. Jake hatte zusammengekauert vor den Überresten des winzigen Feuers gehockt, hatte den Kieferknochen im Schoß gehabt und untröstlich an den Knochen des Kaninchens genagt. Nun lief er mit einem besorgten Ausdruck auf den Revolvermann zu, der Roland das volle, häßliche Gewicht eines bevorstehenden Verrats spüren ließ – der, wie er spürte, nur der erste von vielen sein mochte.
»Nein«, sagte er. »Nicht krank. Nur müde. Ausgelaugt.« Er deutete abwesend auf den Kieferknochen. »Den kannst du wegwerfen.«
Jake warf ihn rasch und heftig weg und wischte sich anschließend die Hände an seinem Hemd ab.
Der Revolvermann setzte sich – fiel beinahe – nieder; er spürte die schmerzenden Gelenke und den schwerfälligen, trägen Verstand – die unliebsamen Nachwirkungen des Meskalins. Auch in seinen Lenden pochte ein dumpfer Schmerz. Er drehte sich mit sorgfältigen, gedankenlosen Bewegungen eine Zigarette. Jake sah ihm zu. Der Revolvermann verspürte den plötzlichen Impuls, ihm zu sagen, was er erfahren hatte, doch dann verwarf er den Gedanken voller Entsetzen. Er fragte sich, ob ein Teil von ihm – Verstand oder Seele – nicht im Verfall begriffen waren.
»Wir schlafen heute nacht hier«, sagte der Revolvermann. »Morgen klettern wir. Ich gehe später ein Stück weg und sehe zu, ob ich uns etwas zum Essen erlegen kann. Aber jetzt muß ich schlafen. Okay?«
»Klar.«
Der Revolvermann nickte und lehnte sich zurück. Als er erwachte, fielen lange Schatten über die kleine grasbewachsene Lichtung. »Mach ein Feuer«, sagte er zu Jake und warf ihm Feuerstein und Stahl zu. »Kannst du damit umgehen?«
»Ja, ich glaube schon.«
Der Revolvermann schritt zum Weidenhain, dann nach links, an ihm entlang. An einer Stelle, wo sich der Wald zu einer breiten grasbewachsenen Schneise öffnete, trat er in den Schatten zurück und blieb still stehen. Er konnte leise, aber deutlich das Klick-klick-klick-klick hören, während Jake Funken schlug. Er stand zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten, ohne sich zu bewegen. Dann kamen drei Kaninchen, und der Revolvermann zog. Er erlegte die beiden fettesten, häutete sie, weidete sie aus und trug sie ins Lager.
Jake hatte das
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