Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
bei.«
Er stocherte nachdenklich mit einem Ast im Feuer, schien die unbewusste Symbolik seines Tuns zu erkennen und warf ihn mit einem schiefen Grinsen weg. Der Ast landete schwelend vor dem Reifen eines liegen gebliebenen Dodge Aspen und ging aus.
»Es war gut. Der Sex war gut. Natürlich nicht die tolle Sache, über die ich und meine Freunde ständig nachgedacht und geflüstert und gerätselt hatten…«
»Ich glaube, alle Jungs überschätzen gekaufte Muschis, Süßer«, sagte Susannah.
»Ich schlief ein und hörte die Trunkenbolde unten zum Klavier singen und den Hagel ans Fenster prasseln. Am nächsten Morgen erwachte ich in… nun, sagen wir einfach, ich erwachte auf eine Weise, wie ich es an so einem Ort nie und nimmer erwartet hätte.«
Jake legte Holz auf das Feuer. Es loderte auf, beleuchtete Rolands Wangen und malte Halbmonde aus Schatten unter dessen Brauen und Unterlippe. Und als er weiterredete, stellte Susannah fest, dass sie fast sehen konnte, was an jenem längst vergangenen Morgen geschehen war, der nach nassem Kopfsteinpflaster und regenschwangerer Sommerluft gerochen haben musste; was sich in der Kammer einer Hure über einer Schänke in der Unterstadt von Gilead, Sitz der Baronie von Neu-Kanaan, einem kleinen Fleckchen Land in der westlichen Region von Mittwelt, abgespielt hatte.
Ein Knabe, dem von seinem Kampf am Tag zuvor noch die Knochen wehtaten und der gerade eben in die Geheimnisse des Geschlechtsverkehrs eingeführt worden war. Ein Knabe, der jetzt mehr wie zwölf als wie vierzehn aussah, dessen dichte Wimpern sanft auf den Wangen ruhten, dessen Lider diese außergewöhnlichen blauen Augen schlossen; ein Knabe, der mit einer Hand locker die Brust einer Hure umfing und dessen Handgelenk mit den Narben, die ihm der Falke geschlagen hatte, braungebrannt auf der Tagesdecke lag. Ein Knabe in den letzten Augenblicken des letzten ungetrübten Schlafs seines Lebens; ein Knabe, der sich gleich in Bewegung setzen wird, der fallen wird wie ein losgetretener Kieselstein auf einer steilen und unebenmäßigen Geröllhalde; ein fallender Kieselstein, der einen weiteren mit sich reißt, und noch einen, und alle Kieselsteine reißen weitere mit sich, bis die ganze Halde in Bewegung gerät und die Erde vom Lärm des Erdrutschs erbebt.
Ein Knabe, ein Kieselstein auf einem Hang, der locker und lawinengefährdet ist.
Ein Knorren explodierte im Feuer. Irgendwo in diesem Traum von Kansas schrie ein Tier. Susannah sah, wie Funken vor Rolands unglaublich altem Gesicht stoben, und erblickte in diesem Gesicht den schlafenden Knaben jenes Sommermorgens, der in einem Lotterbett lag. Und dann sah sie, wie die Tür krachend aufflog und Gileads letzter gequälter Traum sein Ende fand.
15
Der Mann, der hereinkam und mit großen Schritten quer durchs Zimmer zum Bett ging, bevor Roland die Augen aufschlagen konnte (und bevor die Frau neben ihm das Geräusch auch nur registrierte), war groß, schlank und trug verblichene Jeans und ein staubiges Hemd aus blauem Drillich. Auf dem Kopf hatte er einen dunkelgrauen Hut mit einem Band aus Schlangenleder sitzen. An seinen Hüften hingen zwei alte Lederholster. Aus diesen ragten die Sandelholzgriffe der Revolver, die der Junge eines Tages zu Ländern tragen sollte, von denen dieser finstere Mann mit den wütenden blauen Augen nicht einmal träumte.
Roland war in Bewegung, noch ehe er die verklebten Augen öffnen konnte, rollte sich nach links und tastete unter dem Bett nach dem, was dort lag. Er war schnell, beängstigend schnell, aber – und auch das sah Susannah, sah es ganz deutlich – der Mann in den verblichenen Jeans war noch schneller. Er packte den Jungen an der Schulter, zog und zerrte ihn nackt aus dem Bett auf den Boden. Dort lag der Junge und streckte wieder blitzschnell die Hand nach dem aus, was unter dem Bett lag. Der Mann in den Jeans trat ihm auf die Finger, bevor der Junge es zu fassen bekam.
»Dreckskerl!«, keuchte der Junge. »Oh, du Drecks…«
Aber inzwischen waren seine Augen offen, er sah hoch und erkannte, dass der zudringliche Dreckskerl sein Vater war.
Die Hure hatte sich mit verquollenen Augen und schlaffem und quengeligem Gesicht aufgerichtet. »He!«, rief sie. »Also wirklich! Ihr könnt hier nicht einfach so reinplatzen, das geht nicht! Wenn ich schreien würde…«
Der Mann beachtete sie nicht, streckte die Hand unter das Bett und zog dort zwei Revolvergurte heraus. Am Ende eines jeden befand sich ein Revolver im
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