Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
seinem Lagerfeuer zurück, bereitete wieder das in Blätter gewickelte Hirschfleisch zu und reichte es ihnen bald darauf. Sie aßen schweigend (Roland so gut wie nichts, wie Susannah bemerkte). Als sie damit fertig waren, konnten sie die Milchstraße auf den Wänden des Schlosses vor ihnen sehen; grelle Spiegelungen von Lichtpünktchen, die wie Feuer in stehendem Gewässer funkelten.
Eddie war derjenige, der das Schweigen schließlich brach. »Du musst nicht«, sagte er. »Du bist entschuldigt. Oder losgesprochen. Oder was zum Teufel erforderlich ist, damit dieser Ausdruck von deinem Gesicht verschwindet.«
Roland beachtete ihn nicht. Er trank, wobei er den Wasserschlauch auf den Ellbogen stützte wie ein Hinterwäldler, der Selbstgebrannten aus einem Krug trank, den Kopf zurücklegte und zu den Sternen sah. Den letzten Mund voll spie er auf die Straße.
»Leben für deine Saat«, sagte Eddie. Er lächelte dabei nicht.
Roland sagte nichts, aber seine Wangen wurden blass, als hätte er ein Gespenst gesehen. Oder gehört.
14
Der Revolvermann drehte sich zu Jake um, der ihn ernst ansah. »Ich habe die Mannbarkeitsprüfung im Alter von vierzehn Jahren abgelegt, der jüngste meines Ka-Tel – meiner Klasse, würdest du wohl sagen – und vielleicht der jüngste überhaupt. Davon habe ich dir bereits erzählt, Jake. Erinnerst du dich noch?«
Davon hast du uns allen erzählt, dachte Susannah, hielt aber den Mund und ermahnte Eddie mit Blicken, es ebenfalls zu tun. Roland war nicht bei sich gewesen, als Roland es erzählt hatte; Jake war tot und lebendig zugleich in seinem Kopf gewesen, und der Mann hatte gegen den Wahnsinn gekämpft.
»Du meinst, als wir Walter gejagt haben«, sagte Jake. »Nach der Zwischenstation, aber vor meinem… Sturz.«
»Ganz recht.«
»Ich erinnere mich dunkel, aber das ist auch alles. So wie man sich an das erinnert, wovon man träumt.«
Roland nickte. »Dann hör zu. Ich werde dir diesmal mehr erzählen, weil du älter bist, Jake. Das sind wir wohl alle.«
Susannah faszinierte die Geschichte beim zweiten Mal nicht weniger; wie der Knabe Roland zufällig Marten, den Berater seines Vaters (den Hofzauberer seines Vaters), in den Gemächern seiner Mutter entdeckte. Nur war natürlich nichts davon Zufall gewesen; der Knabe wäre mit einem kurzen Blick an der Tür vorbeigegangen, hätte Marten sie nicht geöffnet und ihn hereingebeten. Marten hatte Roland gesagt, seine Mutter wolle ihn sprechen, aber ein Blick auf ihr schuldbewusstes Lächeln und die niedergeschlagenen Augen, wie sie auf dem Stuhl mit der niederen Lehne saß, hatte dem Jungen verraten, dass er der letzte Mensch auf der Welt war, den Gabrielle Deschain in diesem Moment sehen wollte.
Alles andere verrieten ihm ihre geröteten Wangen und der Knutschfleck an ihrem Hals.
So war er von Marten zu einer frühen Mannbarkeitsprüfung verleitet worden, und indem er eine Waffe wählte, mit der sein Lehrer nicht gerechnet hatte – seinen Falken David –, hatte Roland damals Cort besiegt, seinen Stock genommen… und sich Marten Broadcloak zum Feind seines Lebens gemacht.
Cort, der übel zugerichtet war und dessen geschwollenes Gesicht Ähnlichkeit mit der Koboldmaske eines Kindes bekam, hatte, bevor er ins Koma fiel, noch lange genug gegen die Bewusstlosigkeit gekämpft, um seinem jüngsten Revolvermannanwärter einen Rat zu geben: Halte dich noch eine Weile fern von Marten, hatte Cort gesagt.
»Er gab mir den Rat, die Geschichte unseres Zweikampfs zur Legende werden zu lassen«, sagte der Revolvermann zu Eddie, Susannah und Jake. »Zu warten, bis Haare im Gesicht meines Schattens wuchsen und dieser Marten in seinen Träumen verfolgte.«
»Hast du seinen Rat angenommen?«, fragte Susannah.
»Ich bekam keine Möglichkeit dazu«, sagte Roland. Er verzog das Gesicht zu einem gequälten, schmerzlichen Lächeln. »Ich wollte darüber nachdenken, und zwar ernsthaft, aber bevor ich auch nur damit anfangen konnte, haben sich die Dinge… geändert.«
»Das tun sie gern, was?«, sagte Eddie. »Meine Güte, ja.«
»Ich begrub meinen Falken, die erste Waffe, die ich jemals einsetzte, und vielleicht die beste. Dann – und ich bin mir sicher, dass ich dir diesen Teil noch nicht erzählt habe, Jake – ging ich in die Unterstadt. Die Sommerhitze entlud sich in Gewittern und Hagelstürmen, und in einem Zimmer über einem der Bordelle, wo Cort bekanntermaßen ein und aus gegangen war, wohnte ich zum ersten Mal einer Frau
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