Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Refrain massakrierten. Aber nicht die Leute, vor denen sie Will Dearborn gewarnt hatte; die würden an der Bar stehen und den ganzen Raum mit ihren ausdruckslosen Augen beobachten. Die drei gehörten nicht zum Typ Mann, der gern sang. Jeder hatte einen kleinen blauen Sarg auf die rechte Hand tätowiert, in das Häutchen zwischen Daumen und Zeigefinger gebrannt. Sie dachte kurz daran, Will das zu sagen, doch dann machte sie sich klar, dass er es selbst bald sehen würde. Stattdessen zeigte sie ein kleines Stück den Hang hinab zu einem dunklen Umriss, der an einer Kette über der Straße hing. »Seht Ihr das?«
»Ja.« Er gab einen gewaltigen und eher komischen Stoßseufzer von sich. »Ist es der Gegenstand, den ich mehr als jeden anderen fürchte? Ist es der grauenhafte Umriss von Mrs. Beechs Briefkasten?«
»Aye. Und dort müssen wir uns trennen.«
»Wenn Ihr sagt, dass wir müssen, dann müssen wir. Ich wünschte allerdings…« In diesem Augenblick drehte der Wind, wie es im Sommer manchmal vorkam, und eine heftige Bö kam von Westen herangebraust. Der Geruch von Meersalz war binnen eines Augenblicks verschwunden, ebenso das Grölen der trunkenen, singenden Stimmen. An ihre Stelle trat ein unendlich bedrohlicheres Geräusch, das ihr stets kalte Schauer über den Rücken jagte: ein leises, atonales Geräusch, gleich dem Heulton einer Sirene, die von einem Mann gedreht wurde, der nicht mehr lange zu leben hatte.
Will wich einen Schritt zurück, er riss die Augen auf und griff wieder mit den Händen an den Gürtel, als wollte er nach etwas greifen, das nicht da war.
»Was in der Götter Namen ist das?«
»Das ist eine Schwachstelle«, sagte sie leise. »Im Eyebolt Canyon. Habt Ihr nie davon gehört?«
»Davon gehört schon, aber bis eben noch nie eine gehört. Götter, wie könnt Ihr das ertragen? Es hört sich so lebendig an!«
So hatte sie es noch nie gesehen, aber jetzt, als sie gewissermaßen mit seinen Ohren und nicht mit ihren hörte, dachte sie, dass er Recht hatte. Es war, als hätte ein widerlicher Teil der Nacht eine Stimme bekommen und versuchte tatsächlich zu singen.
Sie erschauerte. Rusher spürte den kurzzeitig stärkeren Druck ihrer Knie, wieherte leise und drehte den Kopf, um sie anzusehen.
»Um diese Jahreszeit hören wir es nicht oft so deutlich«, sagte sie. »Im Herbst verbrennen die Männer sie, sodass sie still ist.«
»Das verstehe ich nicht.«
Wer schon? Wer verstand überhaupt noch etwas? Götter, sie konnten nicht einmal die wenigen Ölpumpen von Citgo abschalten, die noch funktionierten, obwohl die Hälfte davon wie Schweine auf der Schlachtbank quietschte. Heutzutage war man gemeinhin schon dankbar, wenn man etwas fand, was überhaupt noch funktionierte.
»Im Sommer, wenn die Zeit gekommen ist, bringen Viehtreiber und Cowboys ganze Wagenladungen Unterholz zum Eingang des Eyebolt«, sagte sie. »Abgestorbenes Unterholz würde es tun, aber frisches ist da noch besser, weil es hauptsächlich auf den Rauch ankommt, je dichter, desto besser. Der Eyebolt ist ein sackgassenartiger Canyon, sehr kurz und mit steilen Wänden. Fast wie ein Schornstein, der auf der Seite liegt, versteht Ihr?«
»Ja.«
»Die traditionelle Zeit für das Feuer ist der Erntemorgen – der Tag nach dem Jahrmarkt und dem Fest und dem Freudenfeuer.«
»Der erste Wintertag.«
»Aye, aber in diesen Breiten kommt der Winter nicht so früh. Wie auch immer, es ist keine unverrückbar festgeschriebene Tradition, das Gestrüpp wird manchmal auch schon früher angezündet, wenn der Wind launisch oder das Geräusch besonders stark ist. Es beunruhigt das Vieh, wisst Ihr – Kühe geben kaum Milch, wenn das Geräusch der Schwachstelle zu laut ist –, und man kann kaum schlafen.«
»Das kann ich mir denken.« Will sah immer noch nach Norden, als eine heftigere Windbö ihm den Hut vom Kopf wehte. Er fiel ihm auf den Rücken, und die Wildlederkordel schnürte sich in Wills Hals. Das etwas längere Haar, das dadurch bloßgelegt wurde, war schwarz wie der Flügel einer Krähe. Sie verspürte ein plötzliches, gieriges Verlangen, mit den Händen hindurchzufahren und mit den Fingern dessen Beschaffenheit zu spüren – war es rau, glatt oder seidig? Und wie würde es riechen? Bei diesem Gedanken verspürte sie wieder eine Hitzewallung im Unterleib. Er drehte sich zu ihr um, als hätte er ihre Gedanken gelesen, worauf sie errötete und nur froh war, dass er ihre dunkler werdenden Wangen nicht sehen konnte.
»Wie lange ist
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