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Der dunkle Wächter

Der dunkle Wächter

Titel: Der dunkle Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Gendarmerie von Baie Bleue«, erklärte er, und jedes Wort klang bedeutungsschwerer als das vorherige.
    In der Leitung herrschte angespanntes Schweigen.
    »Madame?«, fragte der Polizist schließlich.
    »Ich höre.«
    »Es fällt mir nicht leicht, Ihnen das mitzuteilen…«
     
    Dorian hatte seine Botengänge für diesen Tag beendet. Die Aufträge, die Simone ihm anvertraut hatte, waren alle erledigt, und die Aussicht auf einen freien Nachmittag beflügelte ihn. Als er zum Haus am Kap kam, war Simone noch nicht von Cravenmoore zurück und seine Schwester Irene musste sich irgendwo mit diesem Freund herumtreiben, den sie sich geangelt hatte. Nachdem er ein paar Gläser kalte Milch heruntergestürzt hatte, kam ihm das leere Haus ohne die Frauen ein wenig unheimlich vor. Man gewöhnte sich so an sie, dass die Stille irgendwie beunruhigend war.
    Dorian beschloss, die Stunden zu nutzen, die es noch hell sein würde, um den Wald von Cravenmoore zu erkunden. Genau wie Simone vorhergesagt hatte, waren die unheimlichen Schatten bei Tageslicht nichts weiter als Bäume, Büsche und Gestrüpp. Mit diesem Gedanken ging der Junge immer tiefer in den dichten, labyrinthischen Wald hinein, der zwischen dem Haus am Kap und Lazarus Janns Anwesen lag.
    Er war zehn Minuten ohne festes Ziel umhergestreift, als er zum ersten Mal auf Spuren stieß, die von den Klippen in den Wald hineinführten und am Rand einer Lichtung auf unerklärliche Weise verschwanden. Der Junge kniete nieder und betastete die Spuren, undeutliche Abdrücke, die sich tief in den Waldboden gegraben hatten. Wer oder was auch immer diese Abdrücke hinterlassen hatte, besaß ein beachtliches Gewicht. Dorian untersuchte noch einmal das letzte Stück der Spur bis zu der Stelle, wo sie verschwand. Wenn man den Indizien Glauben schenken durfte, war derjenige, der sie verursacht hatte, an dieser Stelle stehen geblieben und hatte sich in Luft aufgelöst.
    Er sah nach oben und betrachtete das Gewirr aus Licht und Schatten in den Baumkronen. Einer von Lazarus’ Vögeln flatterte in den Zweigen. Dem Jungen lief es kalt den Rücken hinunter. Gab es kein einziges lebendes Tier in diesem Wald? Die einzig greifbare Gegenwart war jene dieser mechanischen Geschöpfe, die aus den Schatten auftauchten und wieder verschwanden, ohne dass man sich vorstellen konnte, woher sie kamen und wohin sie gingen. Sein Blick wanderte weiter über das Blätterwerk des Waldes und blieb dann an einer tiefen Scharte in einem nahen Baum hängen. Dorian trat zu dem Baumstamm und nahm die Stelle in Augenschein. Irgendetwas hatte eine tiefe Wunde ins Holz geschlagen. Ähnliche Schrammen zogen sich den ganzen Stamm hinauf bis zum Wipfel. Der Junge schluckte heftig und beschloss, das Weite zu suchen.
     
    Ismael schwamm mit Irene zu einem kleinen, flachen Felsen, der in der Mitte der Grotte einige Handbreit aus dem Wasser ragte, und die beiden legten sich darauf, um ein wenig auszuruhen. Das Licht, das durch den Höhleneingang fiel, wurde im Inneren reflektiert und warf seltsam tanzende Schemen auf die Kuppel und die Wände der Grotte. Das Wasser schien hier wärmer zu sein als im offenen Meer, ein zarter Dunstschleier stieg daraus empor.
    »Gibt es noch mehr Zugänge zu der Höhle?«, fragte Irene.
    »Noch einen, aber der ist gefährlich. Der einzig sichere Weg hinein und heraus führt über das Meer, durch die Lagune.«
    Das Mädchen betrachtete das Schauspiel des sich stetig verändernden Lichts, in dem das Innere der Höhle lag. Von diesem Ort ging eine unwiderstehliche, hypnotische Stimmung aus. Für einige Sekunden glaubte sich Irene im großen Saal eines Felspalastes, an einem sagenhaften Ort, der nur im Traum existieren konnte.
    »Es ist… magisch«, sagte sie.
    Ismael nickte zustimmend.
    »Manchmal komme ich hierher und sitze stundenlang auf einem der Felsen, während ich zusehe, wie das Licht unter Wasser die Farbe wechselt. Es ist meine persönliche Kirche…«
    »Weit weg von der Welt, nicht wahr?«
    »So weit, wie du dir nur vorstellen kannst.«
    »Du magst die Menschen nicht besonders, stimmt’s?«
    »Kommt auf die Menschen an«, antwortete er mit einem Lächeln auf den Lippen.
    »Ist das ein Kompliment?«
    »Vielleicht.«
    Der Junge sah rasch weg und betrachtete den Höhleneingang.
    »Wir sollten jetzt besser gehen. Die Flut wird bald kommen.«
    »Na und?«
    »Bei Flut drückt die Strömung in die Grotte, und die Höhle füllt sich bis zur Decke mit Wasser. Es ist eine tödliche Falle. Dann

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