Der Earl und sein verführerischer Engel (Historical) (German Edition)
war ihm die Frage durch den Kopf gegangen, wie es sein mochte, Vater zu sein.
Und dann Royce. Der Junge erinnerte ihn an ihn selbst – offen und umgänglich und gleichzeitig immer auf der Hut, um nicht verletzt zu werden. Stephen war bewusst, dass er nicht ohne die Kinder zurückkehren konnte. Emily vertraute ihm.
Der Gedanke gab ihm Mut, und er trieb sein Pferd zu höherem Tempo an, Bilder von Emily vor Augen, wie sie Brotteig knetete und ihm ein Lächeln schenkte. Er wollte sie verwöhnen und verführen, bis sie vor Lust aufschrie und ihn verlangend an sich zog. Er wollte neben ihr aufwachen.
Er liebte sie. Dieses Wissen erfüllte ihn mit eiserner Entschlossenheit, weder sie noch die Kinder im Stich zu lassen.
Als er in der Ferne Nigels Landsitz erblickte, straffte er die Zügel, und das Pferd kam mit bebenden Flanken zum Stehen. Langsam senkte sich Dunkelheit über das Land, und als er weiterritt, wiesen ihm die erleuchteten Fenster des Anwesens den Weg.
Natürlich konnte er nicht einfach an der Haustür auftauchen und hineingehen – Nigel würde ihn töten. Er musste sich einer List bedienen, und noch arbeitete die Zeit für ihn. Nigel erwartete ihn sicher erst in ein paar Tagen. Niemand wusste, dass er schon hier war.
Wenn er unbesonnen vorging, riskierte er ihrer aller Leben. Während Stephen das Haus beobachtete, spielte er im Geist verschiedene Strategien durch. Da er keinerlei Druckmittel in der Hand hielt, würde er die Kinder nur retten können, indem er Nigel überwältigte. Erst einmal musste er ihn jedoch ablenken, damit er ins Haus gelangen und seinen Angriff vorbereiten konnte. Entscheidend war, dass Nigel nicht länger Herr der Lage blieb.
Und Stephen wusste auch schon, wie er das bewerkstelligen würde.
Warum bestanden Männer immer darauf, die Frauen zu Hause zurückzulassen? Nachdem sie die entsetzliche Zugfahrt überlebt hatte – von Rußwolken geplagt und in einer Geschwindigkeit, die nicht gesund sein konnte für einen Menschen –, hatte der Marquess angeordnet, dass seine ungeliebte Schwiegertochter im Dorf bleiben sollte.
Emilys Geduld war nach knapp einer Stunde aufgebraucht. Sie musste einfach dabei sein und wissen, was geschah – und sie hatte bereits einen Plan, wie sie unbemerkt von allen anderen ins Haus gelangen konnte.
Sie nutzte den Nachmittag, um ein paar Einkäufe zu machen. Schließlich hatte sie Kleidung beisammen, in der sie wie eine Spülmagd aussehen würde. Es war nicht besonders schwer, ihr Erscheinungsbild zu verändern, denn seit Ladys Thistlewaites Ball vor einigen Tagen sah sie ohnehin absolut furchtbar aus. Sie versteckte ihr Haar unter einer Haube, deren Rüsche sie tief ins Gesicht zog. In dem schlichten grauen Kleid würde niemand sie für eine Dame von Stand halten.
Um zu Fuß zu Nigels Anwesen zu kommen, brauchte sie mehr als zwei Stunden. Wie sie erwartet hatte, war das Tor bewacht.
Ein untersetzter Kerl, der mit Pistolen bewaffnet war, stellte sich ihr in den Weg. „Wohin des Weges?“
Sie senkte den Blick. „Vergebung, Sir. Mrs Graham hat nach mir geschickt. Ich soll in der Spülküche aushelfen.“
Der Mann wechselte einen Blick mit seinem Kumpan. Der andere Wachposten zuckte mit den Schultern und machte einen Schritt auf sie zu. „Ich bringe sie hin. Dann wissen wir, ob sie die Wahrheit sagt.
Emily knickste hastig. „Vielen Dank, Sir.“ Das Herz klopfte ihr heftiger mit jedem Schritt, den sie sich dem Haus näherten. Ob die Köchin ihr helfen würde? Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel und flehte darum, dass Mrs Graham sie nicht verriet.
Der Mann führte sie durch den Dienstboteneingang in die Küche, wo die Mädchen geschäftig umherhasteten, Kartoffeln schälten und in Töpfen rührten. Mrs Graham dirigierte den Tumult mit der Souveränität eines Orchesterleiters. „Du da, schneid das Brot. Und Mary, nimm dir die Erdbeeren vor. Sortier alle aus, die nicht reif und rot sind.“
Der Wachmann räusperte sich. „Madam, die Kleine hier behauptet, Sie hätten nach ihr geschickt.“
Emily straffte den Rücken und starrte Mrs Graham beschwörend an. Die anderen Bediensteten hielten mitten in ihren Bewegungen inne und wechselten betroffene Blicke. Emily nickte der Köchin kaum merklich zu und hoffte, dass sie die stumme Aufforderung verstand.
Mrs Grahams Augen weiteten sich vor Überraschung, aber sie spielte das Spiel mit. „Ja, nun, es wurde aber auch Zeit, dass du endlich kommst. Ich hatte dich schon heute Morgen
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