Der Eden Effekt
Die Außenministerin sah sie skeptisch an.
»Drei Jahre mit schweren Regenfällen im amerikanischen Mittelwesten zerstören über vierzig Prozent der Ernte. Der Monsun über dem Indischen Ozean verlagert sich nach Norden über Pakistan, anstatt für Niederschläge an den Südhängen des Himalajas zu sorgen. Die Meeresströmungen des Atlantischen Ozeans kommen zum Stillstand, und dadurch sinkt die Temperatur in Europa um vier Grad. In diesem Szenario wäre der Winter in Berlin nicht viel wärmer als der in Fairbanks, Alaska.«
Im Konferenzraum herrschte Stille. Die Außenministerin wandte sich Maureen zu. »Dr. Cole? Was sagen Sie dazu?«
»Ich stimme Dr. French zu, Ma’am. Denken Sie an die Lektion, die uns der Vorfall der White Star erteilt hat. Und das war nur ein Schluckauf der atlantischen Meeresströmung.«
Die Ministerin warf Amy Randall einen Blick zu und dann den beiden Männern, die sich auf ihre Mitschrift konzentrierten. »Sie haben das Modell aber nie an einer modernen, funktionierenden Gesellschaft getestet, Ms French, nicht wahr? Warum nicht?«
»Weil ich weiß, was ich herausfinden würde.« Anika hielt den Blick gesenkt.
»Und was wäre das?«
»Dass wir den Umkipppunkt bereits überschritten haben. Und es gibt nichts, was diese oder irgendeine andere Regierung tun könnte, um eine Katastrophe zu verhindern.«
10. KAPITEL
ALLE GÄHNTEN UND massierten sich den Nacken, doch Mark Schott, dessen Körper noch auf die Zeit in Wyoming eingestellt war, fand nun seinen Rhythmus. Er war jetzt topfit und kam richtig in Fahrt.
Er hatte bemerkt, dass Stephanie nach etwa einer Stunde gegangen war. Seitdem hatte er nicht mehr an sie gedacht, bis sie schließlich zurückkehrte, fragend die Stirn runzelte und mit bedeutsamem Blick auf ihre Armbanduhr zeigte.
»Sie sehen alle müde aus!«, rief sie. »Wir machen Schluss für heute.«
Die gute Nachricht wurde mit erfreutem Lächeln zur Kenntnis genommen. Alle räumten ihre Arbeitsplätze auf und schlossen ihre Unterlagen in Schubladen ein.
Dann verabschiedeten sie sich und ließen Mark und Stephanie in dem Raum zurück, in dem jetzt Stille herrschte.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte sie.
»Ich glaube, allmählich verstehen sie, worum es geht.« Verdammt, sie war noch hübscher als in seiner Erinnerung. Was wäre es wohl für ein Gefühl, jeden Abend von einer solchen Frau begrüßt zu werden? Mark lächelte sie charmant an, als er sein Exemplar der Dissertation in den ihm zugewiesenen Schreibtisch legte und ihn abschloss.
»Und was haben Sie für einen Plan?«, fragte sie, als sie auf den Gang traten.
»Wir arbeiten das Cahokia-Modell durch, bis sie alle entscheidenden Prinzipien verstanden haben. Sobald sie Verbesserungen des Modells vorschlagen, weiß ich, dass sie es begriffen haben. So clever, wie diese Leute sind, rechne ich mit drei Tagen.«
Sie betraten den Aufzug. »Und um ein Modell einer modernen Gesellschaft zu erstellen? Wie lange wird das dauern?«, fragte sie.
»Das ist ein wenig komplizierter.« Mark verließ hinter Stephanie den Aufzug. »Bei einer prähistorischen oder historischen Gesellschaft haben wir es mit einem geschlossenen System zu tun. In der modernen Welt entwickeln sich die Gesellschaften immer weiter. Wir leben in einer Weltwirtschaft. Alles, und ich meine wirklich alles, ist miteinander verbunden. Soziale Unruhen in Indien beeinträchtigen Steuerberatungsunternehmen hier in Deutschland, in den Vereinigten Staaten und fast in ganz Europa. Ein Taifun, der Taiwan heimsucht, kann sich auf die Just-in-time-Lieferung von Bordcomputern für Airbusse auswirken, die in einer Montagehalle in Frankreich warten.«
»Wir sind mit dem Konzept der ›flachen Erde‹ durchaus vertraut. Aber wie kompensieren Sie das?«
Als sie das Gebäude verließen, wunderte Mark sich, dass es schon dunkel war. Wie war das möglich?
»Ich habe Gunter erklärt, dass ich auf meine Mitarbeiter in Wyoming angewiesen bin. Wir müssen die richtigen Daten haben. Als ich die Idee für das Modell entwickelt habe, hat Anika French mir entscheidend dabei geholfen, die Variablen zu definieren. Sobald wir wissen, welche Fragen wir stellen müssen, übergebe ich einen Teil des Projektes an sie.« Er lächelte. »Sie soll ruhig etwas tun für ihr Geld. Immerhin habe ich ihr den Job besorgt.«
Stephanie begleitete ihn über den Rasen zu seinem Haus. Die Alpen leuchteten im Schein des Halbmondes. »Hm, es hat ein paar Komplikationen gegeben.«
Mark schaute
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