Der einaeugige Henker
den Spiegel hineingefahren.
Es knirschte weiter!
Das war ein Zeichen, das immer mehr der Spiegelfläche allmählich zu Bruch ging. Das Knirschen blieb, es nahm sogar noch zu, zwischendurch war auch ein Knacken zu hören. Ich befürchtete, dass mir die Splitter um die Ohren fliegen könnten und zog mich etwas zurück.
Mein Blick auf die Spiegelfläche war frei. Suko stand mir zur Seite. Er kniete auf seinem Vordersitz und leuchtete mit seiner Taschenlampe die Fläche an.
Sie hatte inzwischen das Aussehen eines Schnittmusterbogens angenommen. Und es arbeitete weiter in ihr. Das Knacken war unterhalb des Glases zu hören, aber es gab auch Kräfte, die nach oben drückten, und dort fanden sie nur wenig Widerstand.
Die ersten Stücke lösten sich aus dem Verbund. Kleine Teile spritzten hoch, erreichten aber mein Gesicht nicht. Ich fühlte mit den Fingern nach und stellte fest, dass es sehr einfach war, die kleinen Teile aus der Fläche zu kratzen.
Ich steckte mein Kreuz weg, dann kümmerte ich mich um das Glas und gab stark acht, dass ich mir dabei nicht in die Finger schnitt. Es klappte recht gut. Scherbe für Scherbe konnte ich hervorpulen und ließ sie zwischen die Sitze fallen.
»Das ist ein Hammer«, sagte Suko und musste lachen.
»Was ist los mit dir?«
»Jetzt hat unser Freund keinen Rückzugsort mehr. Er muss sich der Realität stellen.«
»Das könnte so sein.«
»John, das ist so.«
Ich schaute wieder nach unten auf die Fläche. Als Spiegel war er nicht mehr zu gebrauchen, aber man durfte sich nicht zu sicher sein, das stand auch fest.
»Und jetzt?«, fragte Suko.
Ich winkte ab. »Wir können davon ausgehen, dass er nicht in dem Spiegel hier gesteckt hat.«
»Gut. Wo dann?«
»Das finden wir auch noch heraus.«
»Da ist übrigens ein Auto gekommen, als du mit dem Spiegel beschäftigt gewesen bist.«
»Wo?«
Suko wollte in die Richtung deuten, ließ es aber bleiben, denn ich sah es selbst. In einem etwas größeren Fahrzeug saßen zwei Menschen. Sie bewegten sich im Licht, das im Innern des Autos aufgeleuchtet war. Es waren junge Leute, die ich zum ersten Mal sah.
»Sind sie das?«, fragte Suko.
»Und ob sie das sind.«
»Okay, was hast du vor?«
»Bisher noch nichts. Wir können sie erst mal beobachten. Sie wollten uns hier treffen, jetzt werden sie nach uns suchen.«
Die beiden hatten das Fahrzeug verlassen. Die junge Frau konnte Reni Long sein.
An der anderen Seite des Autos war ihr Begleiter ausgestiegen. Es war ebenfalls ein noch junger Mann, das erkannte ich im Licht der Scheinwerfer, die nicht gelöscht worden waren.
»Wer kann der Knabe sein?«, fragte ich Suko.
»Ihr Freund?«
»Davon hat sie nichts gesagt. Ist aber möglich. Sie hätte es besser nicht tun sollen.«
Sie standen fast auf der Stelle und redeten miteinander, doch wir konnten nicht hören, was sie sagten.
Dann gingen sie von ihrem Wagen weg. Umgeschaut hatten sie sich auch in der Zwischenzeit, aber nichts Verdächtiges entdeckt. Sogar unseren Wagen hatten sie einfach hingenommen.
Sie kamen näher.
Ich hatte mich entschlossen und sagte: »Ich zeige mich ihnen.«
»Okay, dann bleibe ich als Deckung zurück.«
»Kannst du machen.«
Ich ließ die beiden noch zwei Schritte näher kommen, dann richtete ich mich auf und schlug die hintere Tür des Rover zu. Es war nicht stockfinster. Die beiden Scheinwerfer des anderen Autos leuchteten zwar nicht in unsere Richtung, aber das Streulicht war hell genug, um auch unsere Gegend zu erreichen.
Sie hatten mich gesehen.
Beide blieben stehen. Sie machten den Eindruck von Menschen, die bereit waren, jeden Augenblick die Flucht zu ergreifen, aber das taten sie nicht.
Ich wollte ihnen die Furcht nehmen und sprach sie an.
»Reni Long?«
»Ja.«
»Wunderbar, ich bin John Sinclair. Dann haben wir es ja geschafft und uns getroffen.«
Sie sagte nichts. Auch ich hielt den Mund und beobachtete die beiden noch jungen Menschen. Reni Long druckste erst ein wenig herum, bevor sie ihren Begleiter vorstellte.
»Das ist Sören Pfeiffer, ein Freund. Er stammt ebenso aus Deutschland wie ich auch.«
»Hi, Sören.«
Ihm gefiel mein lockerer Gruß wohl, denn er nickte, und ich glaubte auch, dass er lächelte.
Es entstand wieder eine Pause, bis sich Reni Long traute, eine Frage zu stellen.
»Haben Sie ihn gesehen, Mister Sinclair?«
»Sie meinen den Einäugigen?«
»Wen sonst?«
»Nein, ich habe ihn nicht gesehen und bin leicht enttäuscht. Ich habe gedacht, dass er hier auf uns
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