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Der einaeugige Henker

Der einaeugige Henker

Titel: Der einaeugige Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark (Helmut Rellergert)
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Angst, selbst bald zu diesen Skeletten zu gehören, überfiel sie seltsamerweise nicht. Sie schaffte es sogar, sich an dies makabre Bild zu gewöhnen, was für sie mehr als ungewöhnlich war.
    Um sie herum war es still. Niemand sprach sie an. Es gab auch keinen, der das gekonnt hätte, denn die Skelette waren stumm und blieben es auch weiterhin.
    Der Traum lief weiterhin ab. Es geschah nichts, und doch hatte sie das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Irgendetwas konnte durchaus im Hintergrund lauern, was später zum Vorschein kommen würde, aber bisher war der Traum recht ruhig geblieben. Das große Chaos in dieser Umgebung war ausgeblieben.
    Die Träumerin wollte sich bewegen und gehen. Aber das schaffte sie nicht. Sie konnte hier nichts bestimmen und musste alles den anderen Kräften überlassen.
    Sie schwebte. Obwohl die Knochen auch den Boden bedeckten, spürte sie keinen direkten Widerstand. Der Traum hob eben die Gesetze der Schwerkraft auf.
    Was konnte sie tun? Verschwinden? Das hätte sie gern getan, aber so einfach war das nicht. Es ging nicht danach, was sie wollte, sondern danach, was die andere Kraft vorhatte.
    Etwas passierte.
    Etwas bewegte sich.
    Etwas war zu hören.
    Sie erstarrte. Den Traum erlebte sie jetzt wie ein Stück Wirklichkeit. Sogar die Geräusche bekam sie mit, denn jetzt vernahm sie ein Schaben, wozu sie nichts beigetragen hatte, denn das geschah etwas von ihr entfernt.
    Da schabte etwas gegeneinander. Sie hörte auch ein leises Klacken. Dann ein Knirschen und Splittern, das mit Holz nichts zu tun hatte. Allerdings mit Knochen.
    Reni Long schaute nach vorn und erkannte, dass sich dort etwas tat. Da bewegte sich die Wand aus Knochen. Sie fing an zu zittern, sie ruckelte, und die Knochen stießen gegeneinander.
    Aber die Skelette, die dort lagen und einen regelrechten Berg gebildet hatten, zogen sich zurück, denn es musste eine bestimmte Ursache haben.
    Bisher hatten sie etwas verdeckt, und genau das sollte nicht mehr sein.
    Es kam frei!
    Reni schaute nur zu. Sie konnte nicht sprechen, sie wollte es auch nicht. Was sie da zu sehen bekam, das war unwahrscheinlich, so etwas hatte sie noch nie gesehen.
    Die Skelette hatten ihr Platz geschaffen. Ihr, dieser Gestalt, aber es war kein ihr, es war ein ihm, ein ER.
    Ein Mensch?
    Ja, er sah so aus wie ein Mensch, aber er war kein Mensch, der in diese Zeit oder Welt passte. Er hatte die Knochen hinter sich gelassen oder sie hatten ihn nicht mehr gewollt. Auf jeden Fall war er so etwas wie ein Phänomen. Ein Stück Vergangenheit, das sich in Renis Traum geschmuggelt hatte.
    Ein Mann wie ein Baum. Er stand da und stützte sich auf sein mächtiges Schwert. Das Gesicht zeigte kein Lächeln, keinen freundlichen Ausdruck, es wirkte wie von einem Bildhauer geschaffen. Hinzu kamen die dichten blonden Haare, die beide Ohren bedeckten.
    Und es gab da noch etwas ganz besonders Prägnantes. Das Gesicht enthüllte diese Besonderheit. Dort, wo eigentlich das linke Auge hätte zu sehen sein müssen, war nichts, gar nichts. Nur eben ein dunkles Loch.
    Reni Long stand da und zitterte. Ihr Hals war trocken geworden, sie schluckte den wenigen Speichel, der noch vorhanden war, und sie hörte sich im Traum stöhnen.
    Welch ein Bild!
    Welch ein Mann!
    Er strahlte Stärke aus und einen unbeugsamen Willen, und er war offenbar jemand, der sich auf seine Waffe, dieses gewaltige Schwert verließ.
    Auch wenn er sich nicht in Aktion zeigte, konnte man vor ihm Angst bekommen. Damit hatte Reni Long eigentlich gerechnet, doch es war nicht der Fall.
    Keine Angst!
    Warum nicht? Warum schrie sie nicht los? Warum rannte sie nicht weg?
    Was war mit ihr los?
    Beide starrten sich an. Das rechte Auge des Henkers zuckte, auch seine fleischigen Lippen, und er machte den Eindruck, als wollte er sie jeden Moment ansprechen.
    Das tat er nicht.
    Er ging wieder.
    Nein, so konnte man das auch nicht sagen. Er ging nicht. Er zog sich einfach nur zurück, und dabei war kein Laut zu hören, denn er belastete mit seinem Gewicht nicht die Knochen. Dieser mächtige Henker entschwebte einfach.
    Dort, wo er gestanden hatte, fiel das Dunkel wieder zusammen. Es war still, aber die Träumerin hatte das Gefühl, dass es eine Totenstille war.
    Die Knochen waren noch da. Sie hatte den Eindruck, auf einem Friedhof zu stehen. Ein riesiger Friedhof, angehäuft mit Knochen, mit Totenschädeln und auch ganzen Skeletten.
    Und sie …
    Der Traum war da. Sie war nicht in der Lage, ihn zu beeinflussen, und dann spürte

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