Der Einbruch des Meeres
nun der Leutnant aus dem oder jenem Grunde nicht schon vor dem Gewitter den Rückmarsch antreten können, so konnte man wohl annehmen, daß er dieses unter dem Schutze der Bäume abgewartet haben würde, selbst auf die Gefahr hin, daß sich sein Wiedereintreffen am Lagerplatze bis zum nächsten Morgen verzögerte.
»Wahrsheinlich sehen wir ihn diesen Abend noch nicht wieder, bemerkte der Kapitän Hardigan. Wäre Vilette heute Nachmittag gegen zwei Uhr aufgebrochen, so müßte er jetzt schon in Sicht der Oase sein.
– Da es auf eine Verspätung bis morgen nicht ankommen kann, antwortete von Schaller, hat unser Leutnant ganz recht daran getan, sich bei einem so drohenden Himmel nicht hinauszuwagen. Es wäre doch weit schlimmer gewesen, sich mit seinen Leuten von dem Unwetter mitten auf der Ebene überraschten zu lassen, die nirgends den geringsten Schutz bietet.
– Das ist meine Ansicht ebenfalls,« stimmte ihm Kapitän Hardigan zu.
Der Nachmittag verstrich ohne eine Spur von der kleinen Gruppe, nicht einmal Coupe-à-Coeur war zu hören, und der wäre ihr doch gewiß vorausgelaufen.
Jetzt leuchteten die Blitze fast ohne Unterbrechung kaum in der Entfernung von einer Liene. Die schweren Wolkenmassen, die den Zenith erreicht hatten, wälzten sich langsam auf das Melrir zu. Vor Ablauf einer halben Stunde mußte das Gewitter über dem Lagerplatze stehen und sich über das Schott hin ausbreiten.
Der Ingenieur, der Kapitän Hardigan, der Brigadier und zwei der Spahis hatten sich nach dem Rande der Oase begeben. Vor ihnen dehnte sich die weite Ebene aus, auf der die Effloreszenzen da und dort beim Scheine der Blitze aufglänzten.
Vergeblich spähten alle nach dem Horizonte hinaus: auf dieser Seite war nirgends ein Reitertrupp zu erblicken.
»Wir dürfen wohl nun bestimmt annehmen, sagte der Kapitän, daß sich die Abteilung noch nicht wieder in Bewegung gesetzt hat; vor morgen können wir sie gar nicht erwarten.
– Das glaub’ ich auch, Herr Kapitän, meinte Pistache. Selbst nach dem Gewitter würde es in der Dunkelheit der Nacht schwierig sein, den Weg nach Goleah zurückzulegen.
– Nun, Vilette ist ja ein erfahrner Offizier, auf dessen Klugheit und Vorsicht wir rechnen können. Doch nun zurück zum Lagerplatze, der Regen wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.«
Kaum hatten die Vier zehn Schritte getan, da blieb der Brigadier plötzlich stehen.
»Hören Sie nichts, Herr Kapitän?« fragte er.
Alle hatten sich wieder umgedreht.
»Das klingt ja wie Hundegebell. Sollte es vom Hunde des Wachtmeisters herrühren?«
Die Männer lauschten. Nein, man vernahm kein Bellen, wenn es in der Natur einmal einen Augenblick still war. Pistache hatte sich jedenfalls getäuscht.
Der Kapitän Hardigan und seine Begleiter gingen nach dem Lager weiter, und nach Durchmessung der Oase, deren Bäume sich vor der Gewalt des Sturmes beugten, erreichten sie noch glücklich ihre Zelte.
Nur wenige Minuten später, und sie wären selbst von der Windsbraut erfaßt worden, die unter strömendem Regen einhersauste.
Es war jetzt sechs Uhr. Der Kapitän traf noch die nötigen Maßregeln für die kommende Nacht, allem Anscheine nach eine der schlimmsten, seit die Expedition Gabes verlassen hatte.
Ohne Zweifel konnte man annehmen, daß das Ausbleiben des Leutnants Vilette durch das furchtbare Unwetter verursacht war, das ihn bis zum nächsten Tage in der Oase von Gizeb zurückhalten würde.
Immerhin konnten sich der Ingenieur und der Kapitän Hardigan gewisser unheilvoller Ahnungen nicht entschlagen. Daß Mezaki sich für einen von Pointars Arbeitern ausgegeben hätte, ohne es zu sein, oder gar, daß er einen verbrecherischen Anschlag gegen die nach dem Melrir entsandte Expedition vorbereitete… das kam ihnen freilich nicht in den Sinn. Doch wie hätten sie so gänzlich die Stimmung vergessen können, die unter den nomadisierenden und den seßhaften Sippen des Djerid bezüglich der Herstellung des Saharameeres herrschte?
War doch erst unlängst ein Angriff auf den Werkplatz von Goleah erfolgt, ein Angriff, der sich wahrscheinlich erneuerte, wenn die Arbeiten wieder aufgenommen waren. Mezaki hatte zwar versichert, daß die Angreifer sich nach Verjagung der Arbeiter nach dem Süden des Schotts zu zerstreut hätten, vielleicht schwärmten aber andre Banden in der Ebene umher, und wenn sie auf den Leutnant Vilette trafen, so müßte dieser sicherlich der großen Übermacht erliegen.
Bei ruhiger Überlegung erschienen solche
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