Der eine Kuss von dir
etwas Konkreteres als einen winzigen Chip, den man so leicht verlieren kann.
»Ha! Na von mir aus. Bin ich für dich eben der Honk. Bittesehr!« Dan verschränkt die Arme vor der Brust, lehnt sich zurück, kuschelt sich in den gepolsterten Zugsitz und schließt die Augen.
Tja. Und jetzt sitze ich also hier, zwischen Mr Obercool und Mr Honk, und kann nur hoffen, dass es mit fortschreitendem Abend besser wird.
LOKALKOLORIT NENNT MAN das, glaube ich, wenn man in Wittstock in eine alte, zum Tanzsaal umgebaute Scheune stolpert, wo auf Barhockern kettenrauchende Männer in Jeanswesten sitzen und die einzige Frau im Raum ist die dicke Bardame hinter dem Tresen in einer weißen Bluse mit großen roten Marienkäfern drauf. Auf den wenigen Tischen liegen blaue, abgenutzte Plastiktischdecken und an den Wänden hängen Hufeisen und Zaumzeug. Ich bilde mir ein, noch einen leichten Geruch von Pferden wahrnehmen zu können.
»Na bitte, wie aus dem Bilderbuch«, seufzt Edgar und stellt seinen Rucksack auf dem Boden ab.
Wir werden skeptisch beäugt, wie wir da in der Tür stehen und nicht wissen wohin. Die Bühne ist bis auf die Instrumente leer, es sieht aus, als mache die Band gerade Pause. Unser Timing ist super. Aus den Lautsprechern tönt der örtliche Radiosender mit Werbung für irgendeine Autowerkstatt namens Schmidt & Horn . Ich fühle mich sofort verunsichert unter den strengen Blicken der Jeanswestenmänner. Wahrscheinlich will man uns Grünschnäbel hier gar nicht haben, eigentlich sind wir auch nicht die Zielgruppe für solche Kneipen. Als es schon unangenehm wird, fasst Dan sich ein Herz und schlendert mit seinen O-Beinen rüber zum Tresen. Er quatscht mit der Bardame, nickt, lächelt, gibt sich charmant und winkt uns dann zu sich, ganz lässig, echt cool, könnte man sagen. Na ja, das kann er offenbar, die Bardame bezirzen, das muss man ihm lassen. Edgar und ich murmeln eine Art Begrüßung und lächeln blöd vor uns hin. Sie atmet laut aus und deutet mit dem Kopf zu einer Tür hinter der Bar.
Dan führt uns durch einen langen Korridor, vorbei an alten Türen mit abgeplatzter Farbe, vorbei am Personal- WC , vorbei an merkwürdig düsteren Landschaftsbildern, die links und rechts an den Wänden hängen. Ich schalte meine Kamera auf Play.
Im Backstage-Kabuff sitzen die Jungs und trinken Bier. Sie winken in die Kamera und rufen: »Na endlich! Wir dachten, ihr kommt gar nicht mehr! Prost!« Dan umarmt euphorisch einen nach dem anderen und alle knuffen sich wieder in die Schultern und Oberarme. Das scheint wohl so ein Ritual zu sein.
Edgar schmeißt seinen Rucksack in die Ecke und sich selber in einen Sitzsack, der so keimig aussieht, als hätten schon mehrere Backstage-Menschen versehentlich draufgepullert. Er winkt mir zu, dass ich meine Kamera auf ihn richten soll.
»Wie Sie sehen, sehen Sie nichts!« Er gähnt demonstrativ.
»Halt bloß die Klappe, Edgar!«, ruft Robert, der Schlagzeuger, und wirft einen Bierdeckel nach ihm.
Ich blicke von meiner Kamera hoch und schaue mich im Raum nach Milo um, dem Sänger und Gitarristen der Band, sehe ihn aber nirgends.
Die Stimmung ist nicht gerade auf dem Höhepunkt, jedenfalls hatte ich mir Backstage immer viel aufregender vorgestellt. Ich dachte, da wäre ständig Party, aufgedrehte Stimmung und mindestens eine Handvoll Fans, die der Band an den Lippen hängen. Ich schalte meine Kamera aus und nehme mir eine Cola aus einem Eimer, der mit Eiswürfeln und Getränken gefüllt ist. Ich lehne mich an einen Schrank und lächle etwas verlegen, weil keiner was sagt, aber alle ihren Blick auf mich richten.
»Was?«, frage ich und nippe an meiner Cola.
»Eine Ansprache! Eine Ansprache!«, brüllen die Jungs im Chor.
»Ich bin nicht für die Ansprachen hier, sondern zum Filmen, aber gut … ihr wollt eine Ansprache. Nun …«, ich räuspere mich, » … der Weg war beschwerlich, ganz und gar nicht wie geplant, ich habe echt Hunger, weil ich meine Pizza verschenkt habe und der Imbissstand nicht offen war um diese Uhrzeit. Meine beiden Begleiter wären sich beinahe an die Gurgel gegangen, und nun komme ich hier an, als einziges Mädchen zwischen so vielen nach Bier riechenden Jungs, und es ist … wie soll ich das sagen? Also vom Rock’n’Roll hatte ich echt etwas anderes erwartet!«
»Buh!«, brüllen die Jungs und lachen.
»Du bist nicht das einzige Mädchen hier«, sagt eine Stimme hinter mir.
Ich drehe mich um und da steht Milo mit einem Mädchen im Arm. Sie streckt
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