Der eine Kuss von dir
ich das frage. Eigentlich wollte ich mich nie in so zwischenmenschliches Kuddelmuddel einmischen, das bringt bloß Ärger.
»Du könntest mir suchen helfen.« Sie wartet meine Antwort nicht ab, sondern zieht mich am Arm über die Straße.
»Warte«, sage ich und renne zurück auf die Terrasse, um in meine Boots zu schlüpfen.
Ich weiß nicht, was ihr Plan ist. Ich wüsste nicht, wo man in einem fremden Kaff am besten nach Milo sucht. Linda scheint auch nur vage zu wissen, was sie macht. Sie schaut in Hauseingänge rein und fragt vor dem Netto ein paar Leute, ob sie einen Typen gesehen haben, groß und mit braunem Haar, Karohemd.
Aber Milo ist doch kein Penner, der auf dem Boden einschläft, in irgendeinem fremden Hauseingang.
Oder doch?
Ich kenne ihn natürlich nicht besonders gut.
»Linda? Meinst du, das macht Sinn, was wir hier gerade tun?«, frage ich vorsichtig.
»Hast du eine bessere Idee?« Sie sieht mich verzweifelt an, als hoffe sie, ich hätte wirklich die rettende Idee. Hab ich aber nicht.
»Lass uns zu den anderen zurückgehen und ihnen beim Packen helfen. Milo wird sich schon finden.« Das ist das Einzige, was ich ihr anbieten kann.
»Geh ruhig, geh. Ich suche weiter.« Sie lässt mich stehen und rennt wieder planlos über die Straße, sieht sich um und steuert auf ein Grüppchen Leute zu, die vor dem Bäckerladen stehen.
Ich laufe zurück zur Pension. Die anderen frühstücken wahrscheinlich noch, draußen ist jedenfalls niemand zu sehen.
Ich lehne mich an den Bandbus und atme ein paar Mal durch. Mann, was für eine Aufregung am frühen Morgen. Ich weiß nicht, was ich von Linda halten soll. Eigentlich ist sie wirklich nett. Als wir gestern zusammen getanzt haben und sie meine Hand drückte, fühlte ich mich ihr richtig nah. Aber ihre aufgeregte Art scheint mir leicht übertrieben. Ein bisschen Drama-Queen. Dass sie nicht mit Milo zusammen ist, überrascht mich wirklich. Haben sie nicht gestern noch vor meinen Augen rumgeknutscht? Das ist dann bestimmt wieder so ein ein Rock’n’Roll-Ding, mal ja, mal nein, jeder mit jedem, alle für einen, einer für alle. Das finde ich schon etwas befremdlich.
Ich höre ein Klopfen hinter mir, das aus dem Bus kommt. Ich drehe mich um und schaue durch die Scheibe.
Milo sieht mich verschlafen an und tippt sich zur Begrüßung mit dem Finger an den Kopf, lächelt schief. Er zieht die Seitentür des Busses auf. »Guten Morgen, Filmmädchen!«
Warum ist niemand draufgekommen, im Bus nachzu sehen?
»Du hast ganz schön für Aufregung gesorgt.« Plötzlich finde ich das Ganze sehr komisch.
»Werden schon Flüche und Verwünschungen gen Himmel geschickt?« Er klettert heraus, streckt sich ausgiebig und verzieht dabei den Mund. Seine Klamotten sind zerknittert, und er hat einen Abdruck auf der Wange, als hätte er die ganze Nacht auf etwas Hartem gelegen.
»Sieht nicht so aus, als hättest du eine gute Nacht gehabt.« Ich grinse.
»Und du? Hast du denn gut geschlafen?« Er zwinkert mir zu.
»Na ja, es gab schon bessere Nächte.« Ich lehne mich wieder an den Bus, versuche, eine lässige Position zu finden, damit ich nicht blöd in der Gegend rumstehe.
»Gewöhn dich dran. So ist das auf Tour. Eine Nacht beschissener als die andere.« Er greift nach hinten in den Bus und holt eine Zahnbürste und Zahpasta aus dem Seitenfach.
»Soll mich das zum Bleiben animieren?«, frage ich und stemme einen Fuß gegen den Reifen, finde aber sofort, dass das irgendwie nuttig wirkt, und stelle ihn wieder auf dem Boden ab. Meine Hände sind schwitzig, ich reibe sie unauffällig an der Jeans ab.
»Du musst bleiben, du hast keine andere Wahl, wir bezahlen dich doch!« Er lacht, nimmt einen Schluck aus einer herumliegenden Wasserflasche und beginnt summend, sich die Zähne zu putzen.
»Aber nicht besonders gut, oder?« Ich traue mich zum ersten Mal, ihn richtig anzusehen.
Mit seiner Zahnbürste im Mund fällt er vor mir auf die Knie. Er spuckt den Schaum aus und wirft die Zahnbürste in den Bus. »Oh bitte, bitte, bleib bei uns! Rock’n’Roll ist scheiße, die Bezahlung ist mies, in den Betten wimmelt es von Milbenkot, das Gratisessen schmeckt wie Plastik … aber bitte, bitte, bleib bei uns!« Er versucht, meine Knie zu umarmen, aber ich kann ihm noch rechtzeitig entwischen. Er hat Zahnpastaschaum in den Mundwinkeln, doch ich komme nicht umhin, zu denken, dass er trotzdem viel zu gut aussieht.
»Weißt du was?«, ich sehe ihm in die Augen. »Du bist echt peinlich!«
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