Der einsame Baum - Covenant 05
Riesen in erneute Berührung mit den Aalen zu bringen.
Da erreichte die Erste die Höhe der Angriffswelle. Beide Beine aufs Deck gestemmt, vorm Bauch eine Rettungsleine, hob sie mit beiden Fäusten ihren Pallasch. Ihr Rücken und die Schultern verkrampften sich in Vorbereitung auf den Schwertstreich wie ein stummer Schrei des Zorns, der Furcht um Pechnase. Das Wagnis der Ersten scheuchte Linden aus ihrer Distanziertheit. »Nicht!« heulte sie verzweifelt auf. Aber es war zu spät. Die Klinge der Ersten sauste auf die ihren Füßen am nächsten befindlichen Aale nieder. Energie schoß am Eisen entlang, sprang aus ihren Händen auf ihre Brust über. Glut umgab die Erste mit einer Korona. Aus ihrem Haar entlud sich rote Elektrizität. Das Schwert entfiel ihren Fäusten. Während es einen Schauer von Funken versprühte, klatschte es mit scharfem Zischen ins Wasser und verschwand. Die Erste tat nichts, um es zu halten. Ihr geschockter Körper kippte über die Rettungsleine. Unter ihr siedete das Wasser von Bosheit, während immer mehr Aale sich aufs Deck wanden und in der Luft aufleuchteten. Ceer vermochte die Erste mit knapper Not abzufangen. Er hatte die Folgen ihres Vorgehens mit einer Klarheit vorausgesehen, die an Hellsichtigkeit grenzte, und nur einen Augenblick gebraucht, um sich ein Seil um die Taille zu knüpfen. Als die Erste zusammenbrach, warf er das Seil einem Matrosen in seiner Nähe zu und sprang nach der Riesin. Er bekam sie an der Schulter zu fassen. Oben zog der Riese am Seil, bremste den Fall Ceers und der Ersten unmittelbar über dem Wasserspiegel. »Nicht bewegen!« schrie Linden. »Sie kann nicht noch mehr davon verkraften!« Die Erste regte sich nicht. Ceer verharrte völlig still. Die Aale krochen über die beiden hinweg als wären sie ein Teil des Decks. Mit einer wilden Anstrengung errang Hergrom die Gewalt über seinen Körper zurück. Eine Sekunde, bevor weitere Aale über ihn und Pechnase hinwegglitten, schaffte er es, seine Gliedmaßen zu beruhigen und den Riesen in eine unbewegte Lage zu bringen.
Linden konnte kaum noch denken. Ihre Freunde waren in Gefahr. Erinnerungen an Schwelgenstein und Gibbon marterten sie. Die Gegenwart des Wütrichs drangsalierte ihre Sinne, erfüllte jeden Zentimeter ihres Fleischs mit Entsetzen. In Schwelgenstein hatte der Konflikt ihrer Reaktionen auf diese durch und durch abgrundtief schlechte Macht sie in eine Katatonie des Schreckens getrieben. Nun jedoch ließ sie sich einfach von all der Wahrnehmung des Bösen durchströmen und konzentrierte sich auf die Tiere selbst. Sie mußte eine Möglichkeit entdecken, wie man sie bekämpfen konnte.
Seeträumers Reflexe waren schneller. Er entriß Covenant dem Griff Brinns, sprang hinunter zur ersten Rettungsleine und begann sich daran zum Wohlspeishaus zu ziehen. Brinn folgte ihm, als gelte es, den Ur-Lord vor einem Riesen zu schützen, der den Verstand verloren hatte. Gleich darauf aber war Seeträumers Absicht verständlich. Während der Riese Covenant in die Richtung zum Wohlspeishaus beförderte, wandten sich die Aale ebenfalls dorthin, wanden sich überstürzt schräg zur Seite, um ihr Opfer einzuholen. Ihre gesamte Angriffswelle änderte die Stoßrichtung. Sie ließen Ceer und die Erste unbeachtet. Einen Moment später waren auch Pechnase und Hergrom außer Gefahr. Sofort zerrte der Riese, der Ceers Seil festhielt, den Haruchai und die Erste nach oben. Blankehans ließ sich unter den Rettungsleinen hindurch zum Mast rutschen, nahm Pechnase aus Hergroms beeinträchtigter Faust in seine Obhut.
Doch die Aale wimmelten unablässig übers Deck, versuchten zielstrebig, vorwärtsgepeitscht vom Wütrich, sich auf Covenant zu stürzen. Bald war Seeträumer dem Verlauf der Rettungsleine bis zu der Stelle gefolgt, wo es – nah an der Ecke des Speiseraums – an der Reling befestigt war; dort zögerte er, schaute sich nach den Aalen um. Aber er hatte keine Wahl. Er hatte sich für diese Rettungsleine entschieden und stak nun zwischen der Reling und dem Aufbau in der Klemme. Nur noch wenige Augenblicke konnte es dauern, bis die ersten Tiere ihn erreichten.
Als Brinn zu ihm gelangte, packte Seeträumer den Haruchai am Arm, hob ihn von den Füßen und mit nachdrücklichem Schwung auf das abschüssige Dach. Brinn kam gerade noch im Windschatten des Schiffsrumpfs auf, unmittelbar unter dem Tosen des Sturmwinds. Fast im gleichen Bewegungsablauf setzte Seeträumer einen Fuß auf die Reling und sprang Brinn hinterdrein. Für
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