Der einsame Baum - Covenant 05
nachgerade diebischer Freude gleich; sicher war sie sich aber nicht. Der Wesir war sehr geübt darin, zu verheimlichen, was wirklich in ihm vorging. In bezug auf Rant Absolains Reaktion hingegen konnte es keine Mißverständnisse geben. Er grinste in wildem Triumph. Er bewegte den Mund, als wolle er etwas sagen, um die Gefährten moralisch niederzuschmettern; aber er fand keine Worte. Doch seine Verbundenheit mit den Wachen hielt ihn immerhin aufrecht. Als er sich umdrehte, hätte er ganz gut ein tatsächlicher Monarch sein können. Er befahl den Hustin, ihm zu folgen, nahm die Edle Alif bei der Hand und verließ das Labor. Als sie die Treppe hinabzusteigen begann, warf die Edle einen letzten, flüchtigen Blick, anscheinend Ausdruck einer Anwandlung des Bedauerns, in Lindens Richtung. Dann verschwand sie abwärts außer Sicht, und hinter ihr polterten die Wachen die eiserne Treppe hinunter. Zwei von ihnen trugen den Toten. Keiner der Gefährten rührte sich, während die Hustin das Laboratorium räumten. Hohls gleichgültiges, vieldeutiges Lächeln bildete einen direkten Gegensatz zu Findails lebhaft schmerzlicher Miene. Die Erste hatte die Arme auf dem Busen verschränkt; ihr Blick war scharf wie die Augen eines Falken. Blankehans und Seeträumer legten weiter wachsame Bereitschaft an den Tag. Brinn hatte Covenant an Lindens Seite geschoben, und die vier Haruchai umstanden die zwei Menschen, die sie zu schützen geschworen hatten. Linden nahm sich zusammen, gab sich gelassen. Aber das Gefühl von Gefahr wich nicht von ihr. Die Wächter entfernten sich. Covenant hatte keinen feststellbaren Schaden erlitten. In wenigen Augenblicken würde Kasreyn mit den Gefährten allein sein, ihnen ausgeliefert. Sicherlich war er nicht dazu imstande, mit ihnen fertig zu werden. Weshalb hatte Linden trotzdem den Eindruck, daß das Schicksal ihres Grüppchens am seidenen Faden hing? Brinn widmete ihr einen eindringlichen Blick. Seine harten Augen versuchten ihr wortlos eine Mitteilung zu machen. Intuitiv verstand sie ihn. Der letzte Husta betrat die Treppe. Der Moment zum entscheidenden Handeln war fast da. Linden schlotterten die Knie. Sie spannte sie ein wenig, versuchte auf den Fußballen im Gleichgewicht zu stehen.
Der Wesir hatte sich nicht von dem Stuhl gerührt. »Ihr mögt in eure Gemächer zurückkehren«, sagte er nun im Tonfall der Reue oder gut vorgetäuschter Reue durch seine Finger. »Ohne Zweifel wird der Gaddhi euch später rufen lassen. Ich muß euch den Ratschlag erteilen, euch seinem Willen zu fügen. Doch wüßte ich's zu schätzen, wolltet ihr mir glauben, daß mich überaus betrübt, was sich hier zugetragen hat.«
Der Moment war gekommen. In Gedanken formulierte Linden, was sie zu sagen beabsichtigte. Immer wieder hatte sie davon geträumt, den Gibbon-Wütrich umzubringen. Sie hatte sogar Covenant wegen der in Schwelgenstein geübten Zurückhaltung gerügt. Manche Geschwüre müssen herausoperiert werden , hatte sie zu ihm gesagt. Davon war sie überzeugt gewesen. Wozu sollte Macht überhaupt gut sein, wenn nicht zum Ausrotten des Bösen? Warum sonst war sie geworden, wer sie war? Doch nun, da die Entscheidung bei ihr lag, brachte sie kein Wort hervor. Ihr Herz wummerte in stummer Wut über all das, was Kasreyn getan hatte, und dennoch vermochte sie nicht zu sprechen. Sie war Ärztin, nicht Henkerin. Sie fühlte sich nicht dazu in der Lage, Brinn die Erlaubnis zu geben, die er haben wollte. Seine Miene widerspiegelte ruhige Verachtung, als er ihr den Rücken zukehrte. Ebenso wortlos wie zuvor wandte er sich mit seinem Anliegen an die Erste als die Führerin der Sucher. Die Schwertkämpferin reagierte nicht. Falls sie sich der Gelegenheit bewußt war, zog sie es vor, sie nicht zu nutzen. Ohne ein Wort zum Wesir oder an ihre Gefährten schritt sie zur Treppe. Linden gab ein dumpfes Stöhnen der Erleichterung oder des Beklagens von sich; was es war, wußte sie selbst nicht genau. Ein leichtes Runzeln furchte Brinns Stirn. Aber er beschwerte sich nicht. Sobald sich Blankehans der Ersten angeschlossen hatte, nahmen Brinn und Hergrom unverzüglich Covenant in die Mitte. Sofort geleiteten Cail und Ceer auch Linden zur Wendeltreppe. Seeträumer folgte den Haruchai wie ein Bollwerk auf Beinen. Die Gefährten stiegen aus der Wesirswacht hinab, überließen es Hohl und Findail, beliebig schnell oder langsam das gleiche zu tun. In einem Schweigen, das einer geballten Faust glich, kehrten sie in ihre Unterkünfte im
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