Der einsame Baum - Covenant 05
dunkle Blut auf die Knie. Das Blut spritzte dickflüssig, besudelte sein Gewand. Seine Hände befummelten das Gesicht des Husta . Der Gaddhi versuchte, den Toten auf den Rücken zu drehen; aber die Leiche war für ihn zu schwer. Er zog die blutgetränkten Hände zurück. Er stierte sie an, hob den Blick, als sähe er nichts, zu den Umstehenden. Seine Lippen zitterten. »Mein Wächter.« Er sprach im Tonfall eines verwaisten Kinds. »Wer hat meinen Wächter erschlagen?« Einen Moment lang herrschte im Labor gespanntes Schweigen. Dann trat Hergrom vor. Linden spürte Gefahr in der Luft liegen. Sie wollte Hergrom zurückhalten. Aber es war zu spät. Hergrom übernahm die Verantwortung, um seinen Gefährten den Zorn des Gaddhi zu ersparen. Immer mehr Hustin trafen ein. Die Riesen und Haruchai hielten sich zur Gegenwehr bereit; doch sie waren unbewaffnet und zahlenmäßig weit unterlegen. Langsam faßte der verstörte Gaddhi Hergrom ins Auge. Er stand auf, troff dabei von Blut. Für einen Moment starrte er den Haruchai an, als sei er zutiefst entsetzt über die Ungeheuerlichkeit von Hergroms Verbrechen. »Wesir«, sagte er dann. Seine Stimme ähnelte einem grimmigen Knurren in seiner Kehle. Kummer und Zorn verliehen ihm nun, was ihm vorher an Eindruckskraft gefehlt hatte. »Strafe ihn!«
Kasreyn kam zwischen die Wachen und die Gefährten und zu Rant Absolain. »O Gaddhi, gib ihm keine Schuld.« Die aufgebotene Selbstbeherrschung ließ seinen Tonfall eher bemüht als zerknirscht klingen. »Ich bin's, der gefehlt hat. Ich habe auf vielfältige Weise falsch geurteilt.«
Daraufhin drehte der Gaddhi mit einer Urplötzlichkeit durch, als hätte er schon viel zu lange unter innerem Druck gestanden. »Ich will ihn gestraft sehen!« Mit beiden Fäusten hämmerte er auf Kasreyns Brust ein, schmierte ihm Blut in Flecken und Streifen ins gelbe Gewand. Der Wesir prallte um einen Schritt zurück; Rant Absolain wandte sich seitwärts, um seine Wut Hergrom entgegenzuschleudern. »Die Wachen sind mein! Mein!« Danach richtete er die Fäuste erneut gegen Kasreyn. »Ich besitze nichts in ganz Bhrathairealm! Ich bin der Gaddhi, und der Gaddhi ist nur ein Diener des Volkes!« Erbitterung und Selbstmitleid schäumten in ihm empor. »Die Sandbastei ist nicht mein! Die Schätze gehören nicht mir! Die Höflinge beugen sich mir nur nach deinem Belieben!« Rant Absolain beugte sich über den toten Husta , klaubte zwei Handvoll vom halbgeronnenen Blut auf und verspritzte es gegen Kasreyn und Hergrom. Ein Tropfen rann über Kasreyns Kinn und fiel herab, aber der Wesir kümmerte sich nicht darum. »Selbst meine Meistgeliebten kommen von dir zu mir! Nachdem du dich ihrer bedient hast!« Rant Absolains Fäuste fuchtelten in der Luft. »Aber die Wachen sind mein! Sie allein gehorchen mir, ohne erst dich nach deinem Willen zu fragen!« Er beendete sein Gezeter mit Gebrüll aus vollem Hals. »Ich will ihn bestraft haben!«
In der verkrampften Starre eines Irrsinnigen glotzte er den Wesir an. »O Gaddhi «, sagte Kasreyn im folgenden Moment, »dein Wille ist mein Wille.« Bedauern trübte seine Stimme. Als er sich langsam und fast traurig Hergrom näherte, vermittelte die unter seinem Gewand verborgene Anspannung das Gefühl einer Bedrohung.
»Hergrom ...«, begann Linden. Dann erstickte die Warnung in ihrer Kehle. Sie wußte nicht, woraus die Bedrohung bestand. Ihre Gefährten machten sich darauf gefaßt, Hergrom beistehen zu müssen. Aber auch sie konnten nicht ersehen, was drohte. Der Wesir verharrte vor Hergrom, musterte ihn kurz. Dann hob Kasreyn seinen Ring ans linke Auge. Insgeheim versuchte sich Linden zu beruhigen. Die Haruchai hatten sich bereits als widerstandsfähig gegen die Suggestivkraft des Wesirs erwiesen. Hergroms ausdrucksloser Blick zeigte keinerlei Furcht. Während er durch den Ring schaute, streckte Kasreyn mit wohlüberlegter, wie harmloser Bedächtigkeit eine Hand aus und berührte mit dem Zeigefinger die Mitte von Hergroms Stirn. Hergroms einzige Reaktion bestand aus einem leichten Weitwerden seiner Augen. Der Wesir ließ beide Hände sinken, wie in Müdigkeit oder Gram sanken ihm die Schultern herab. Wortlos wandte er sich ab. Die Wachen traten beiseite, als er zu dem Stuhl schlurfte, an den Covenant geschnallt gewesen war; er setzte sich, konnte sich wegen des Kinds auf seinem Rücken allerdings nicht anlehnen. Seine Finger verhüllten sein Gesicht wie in Trauer. Für Linden jedoch kamen seine innersten Empfindungen
Weitere Kostenlose Bücher