Der einsame Baum - Covenant 05
als Unerbittlichkeit aus. Seine Hände hatten Lindens rechten Arm gepackt; aber sie spürte dort nichts.
Die Riesen achteten nicht auf Linden. Sie starrten wie in Trance hinauf zur Wesirswacht. Würmer aus weißem Feuer krochen durch den Stein des Turms, der sich hoch gegen den Himmel abzeichnete, zerfraßen ihn unaufhaltsam, verwandelten sein Gefüge in Trümmer. Die Turmspitze hatte schon zu zerfallen begonnen. Und mit jedem Moment lösten sich weitere Bruchstücke aus der Wesirswacht, stürzten schwerfällig herab, um auseinanderzubersten. Wilde Magie loderte ans dunkle Himmelsgewölbe empor. Verheerende Risse wanden sich wie Schlangen durch den Sockel von Kasreyns Turm. »So haben denn die Hustin ihren Meister verloren«, raunte die Erste durch die Zähne.
Unter ihren Füßen spürte Linden schwach das Beben des Turms. Dem Zittern folgten zusätzliche Erschütterungen, als gewaltige Steinbrocken aufs Rund der Hoheit herunterkrachten. »Nun laßt uns den Namen von Riesenfreund Covenant preisen«, röchelte Pechnase, »und hoffen, daß er die Zerstörung, die er über die Sandbastei bringt, heil überstehen mag. Sicherlich wird auch das Rund der Hoheit einstürzen – und vielleicht auch das Rund des Reichtums. Viele Leben und Schätze werden verloren sein.« Seine Stimme nahm einen schmerzlichen Klang an. »Meine Trauer gilt den Höflingen, die unter Kasreyns grausamem Joch schmachteten.«
»Zu Recht dauern sie dich«, stimmte ihm Blankehans zu. »Doch ich will auch die Sandbastei selbst beklagen. Kasreyn von dem Wirbel hatte vielerlei Schändliches getrieben, mit jenem Stein aber hat er ein gar treffliches Werk vollbracht.«
Seeträumer blieb in seiner Stummheit wortlos, die Arme wie Stützbänder um das Herz in seiner Brust geschlungen. Aber in seinen Augen spiegelte sich die mörderische Silberglut, die den Nachthimmel erhellte. Und Hohl stand so aufrecht da wie zum Salut, der Stätte von Covenants zerstörerischem Wüten mit einem Grinsen zugewandt, das an den von alters her überkommenen Grimm der Urbösen erinnerte. Ringsherum erzitterte die Luft im unablässigen Brechen und Bersten von Stein.
»Wir müssen gehen«, sagte die Edle Alif ins unausgesetzte Jaulen der Sirenen. Straffe Angespanntheit beherrschte ihre Gesichtszüge, verursacht durch das, was sie sah: den Untergang all des Daseins, das sie bislang gekannt hatte; und doch zeigten sie gleichzeitig innere Erhebung, Ahnungen von Neuem, das an die Stelle des Alten treten sollte. »Kasreyn ist vom Antlitz der Erde vertilgt – und mit ihm endet die Gefährlichkeit seiner Hustin. Aber für uns ist die Gefahr noch nicht vorüber. Nun vermag niemand in der Sandbastei die Befehle zu widerrufen, die er erteilt hat. Und überdies fürchte ich, daß noch in dieser Nacht Krieg ausbrechen wird, um zu entscheiden, wer künftig in Bhrathairealm die Macht in Händen hält. Ihr müßt fliehen, wenn euch euer Leben lieb ist.«
Die Erste nickte. Rasch kauerte sie sich nieder, um nach Ceer zu schauen. Er war tot – war verblutet, so wie Lindens Vater, wenngleich man sich keine geringere Ähnlichkeit zwischen zwei Menschen als zwischen diesen beiden hätte vorstellen können. Wie zum Segen berührte die Erste die Wange des toten Haruchai , warf Linden einen finsteren Blick zu. Aber sie sagte kein Wort. Es drängte Blankehans mit unverminderter Eile zur Rückkehr auf sein Schiff. Indem sie sich einen Weg durch die toten und sterbenden Hustin suchte, strebte die Erste den anderen Gefährten mit schwungvollen Schritten voraus. Blankehans schloß sich an. Pechnase folgte ihnen hastig. Seeträumer stöhnte tief in seiner Kehle dumpf auf und ließ Ceer zurück. Und Cail, der seinen Griff um Lindens wie leblosen Arm um keinen Deut gelockert hatte, trieb sie den Riesen grob hinterdrein. Im rechten Arm hatte sie von der Schulter bis zur Hand keine Spur von Gefühl mehr. Obwohl Lindens Herz hämmerte, hing der Arm kraftlos und unbrauchbar herab. Cails Tritt mußte einen Nerv zermalmt haben. Blutschuld lastete auf Linden, eine Schuld, die sie nie jemandem eingestanden hatte. Ihre Hose war stark in Blut getränkt. Sie klebte ihr an den Beinen wie Sünde. Die Kluft in ihrem Innern schloß sich nun schneller, immer häufiger setzten sich Phasen erneuerter Bewußtheit in ihr durch. Wie war sie zum Laufen imstande, während Ceers Lebensblut ihre Haut benäßte? Es handelte sich um das gleiche kraftvolle Haruchai -Blut, mit dem die Sonnengefolgschaft generationenlang das
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