Der einsame Baum - Covenant 05
hatte in sich eine Kraft gefunden, die sie allem Anschein nach selbst überraschte. »Du sprichst wahr«, sagte sie, als wundere sie sich über die eigene Kühnheit. » Bhrathairealm wird anders sein, als es war. Und ich habe den Kunstgriff vergessen, der's mir ermöglichte, an der Tyrannen Schrullen Vergnügen zu haben. Doch es wird für jedermann, der den Gaddhi nicht länger liebt, vielerlei Werk zu beginnen geben. Und ich kenne einige Geheimnisse der Sandbastei. Dies Wissen mag für jene nutzreich sein, die Rant Absolain nicht durch einen anderen seines Schlages abzulösen wünschen.« Sie stand in ihrer zerfetzten Kleidung aufrecht da, eine Frau, die in ihrem Herzen endlich den eigenen Wert entdeckt hatte. »Ich danke dir für das, was du mir angeboten hast – und für das, was ihr in dieser Nacht vollbracht habt. Doch nun muß ich scheiden. Die Spitzen werden bewacht. Laßt Achtsamkeit walten!«
»Edle«, rief die Erste ihr nach; aber Alif war schon in der Dunkelheit verschwunden, die Schatten längs der Mauerkrone hatten sie verschlungen. »Lebe wohl«, sagte die Erste mit leisem Seufzen. »Jedes Volk, das Menschen wie dich hervorbringt, besitzt Hoffnung und Schönheit.« Doch niemand außer Linden und Pechnase hörte sie.
Linden schauderte zusammen und wandte sich wieder zum Hafen, sah im gleichen Moment Morgenbegrüßer wie eine Fackel brennen. Schwach konnte sie Riesen in den Wanten erkennen. Sie schnitten das Segel ab, ließen es wie einen wunden Vogel ins Wasser hinabflattern. Noch ehe sein Lodern erlosch, machten sie sich daran, ein neues Segel aufzugeien. Die Dromond hatte sich unterdessen mit weiterem Erfolg zur Wehr gesetzt. Eine Monoreme und eine andere Galeere waren Seite an Seite kollidiert. Zahlreiche Ruder der Monoreme waren gebrochen. Der Zusammenstoß hatte das Deck der anderen Galeere verwüstet und das Katapult beschädigt. Während die drei restlichen Kriegsschiffe manövrierten, um von neuem anzugreifen, segelte die Sternfahrers Schatz in der nächtlichen Brise auf die offenen Gewässer zu.
»Vorwärts!« schnauzte die Erste, brach den Bann, unter dem ihre Gefährten standen. »Wir müssen eilends zu den Spitzen. Die Dromond wird sie mit Verfolgern und Feuer hinter sich erreichen. Sie darf nicht gezwungen sein, um unseretwillen dort zu säumen.«
Schatten von Furcht und Zorn verzerrten Blankehans' Gesicht. Aber er zögerte nicht länger. Wenngleich er den Blick nicht vom Hafen zu nehmen vermochte, wandte er sich nordwärts, verfiel in Laufschritt. In der Annahme, daß alle Gefährten ihre Mahnung beachteten, schloß sich die Erste an.
Linden jedoch zauderte. Sie war bereits erschöpft. Ceers Blut verkrustete langsam ihre Hose, und was aus Covenant geworden war, wußte sie nicht. Was sie getan hatte, hinterließ in ihrem Mund einen metallischen Geschmack des Entsetzens. Erst Hergrom und nun Ceer. Wie ihre Mutter. Die Ärzte hatten sich geweigert, die Verantwortung für den Tod ihrer Mutter zu tragen; heute war Linden selbst Ärztin, und sie hatte versucht, Ceer umzubringen. Und Covenant war fort.
Während die Erste mit Blankehans die Flucht fortsetzte, drehte sich Linden zur Sandbastei um, forschte nach Anzeichen von Energie, die angezeigt hätten, daß Covenant noch lebte. Aber nichts dergleichen war zu sehen. Die Festung ragte am Nachthimmel empor wie eine riesige Ruine. Hinter ihren bleichen Mauern herrschte eine Dunkelheit, die der Mondschein nicht zu durchdringen vermochte. Der einzige Beweis irgendeines Lebens war das Heulen der Sirenen. Sie gellten, als könnten sie in ihrer Empörung nie wieder besänftigt werden. Lindens rechter Arm hing an ihrer Seite, als hätte sie Covenants Lepra auf sich genommen. Unbeholfen tat sie einige Schritte in die Richtung der Sandbastei.
Cail packte sie am Arm, riß sie herum, als wolle er sie schlagen. Doch Pechnase und Seeträumer waren nicht aus ihrer Nähe gewichen. Pechnases Augen glommen, als er Cails Hand beiseite stieß. Ein entlegener Teil von Lindens Innenleben fragte sich, ob sie den Arm verlieren würde. Pechnase winkte Seeträumer heran. Unverzüglich hob der stumme Riese Linden auf seine Arme. Indem er sie so trug, wie er sie durch die Sarangrave-Senke befördert hatte, eilte er Blankehans und der Ersten hinterdrein.
Allmählich schwoll das Sirenengeheul in der Ferne ab. Die Gruppe der Gefährten bewegte sich viel schneller voran, als Covenant jemals zu folgen imstande sein konnte. Falls er überhaupt noch fähig war zum Folgen.
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