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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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bannte sie – die seit langem verinnerlichte, unverdrängbare Überzeugung, jede an ihr verübte Gewalt sei gerechtfertigt, ein Teil der Strafe, der sie sich stets entzogen hatte. Laß mich sterben! Dieser Aufschrei war ihr Erbe, und nichts konnte ihn jemals zum Schweigen bringen. Sie verdiente es. Ihr verwaister Blick verfolgte das Heranschnellen des Eisens, als wäre es ihr willkommen. Da jedoch tat Ceer einen Satz vor Linden. Aufgrund der Schienen an seinem Bein und des Schulterverbands halb bewegungsunfähig, besaß er keine andere Möglichkeit, um sie zu schützen. Indem er sich nach vorn warf, fing er die Speerspitze mit seinem Bauch ab. Der Stoß bewirkte, daß er gegen Linden prallte. Gemeinsam stürzten sie auf den Stein. Wutentbrannt wirbelte Seeträumer herum und brach dem Husta das Rückgrat.
    Ceer lag verkrümmt auf Lindens Beinen. Sein Gewicht hielt sie nieder. Aus seinem Leib wollte Blut schießen, aber er preßte seine Faust auf die Wunde. Ringsherum fochten die anderen Gefährten um ihr Leben, zögerten ihre Niederlage immer wieder um Momente hinaus, weil sie zu starrsinnig waren, um sich geschlagen zu geben. Aus der Wesirswacht wetterleuchteten Andeutungen von Entsetzlichem. Doch Linden vermochte ihren Blick nicht von Ceer zu wenden. Die innere Zerrissenheit seiner Qual schien sich ihren Nerven aufzuprägen. Seine Gesichtszüge widerspiegelten keine besonderen Empfindungen; aber sein Schmerz lohte in ihr so deutlich wie ihre Erinnerungen. Sein Blick fiel in Lindens Gesicht. In seinen Augen stand tiefe Not. Der Mondschein schimmerte in seinen Augäpfeln wie Fieber. Als er sprach, ähnelte seine Stimme einem Gurgeln des Bluts, das ihm über die Lippen sprudelte. »Hilf mir aufstehen. Ich muß kämpfen.«
    Linden hörte ihn; und hörte ihn doch nicht. Laß mich sterben! Dies Flehen hatte sie oft genug gehört, so häufig zu hören bekommen, daß es letztendlich von ihr Besitz ergriff. Es war die Stimme ihrer geheimen inneren Finsternis geworden, ihrer insgeheimen, tiefinnersten Gier. Der Stein rund um Linden war übersät mit hingefallenen Speeren, manche unbeschädigt, manche zerbrochen. Unbewußt ertasteten ihre Hände ein Stück Holz, so lang wie ihr Unterarm, an einem Ende mit einer eisernen Spitze versehen. Als der Gibbon-Wütrich sie berührt hatte, war ein Teil ihres Ichs in Erkenntnis und Lust aufgefahren: ihre in Dunkelheit gehüllte Machtlosigkeit hatte auf die Macht des Wütrichs ausgesprochen begeistert reagiert. Und nun kam diese Reaktion erneut aus ihrem Springquell der Gewalt gequollen. Du hast mich ja sowieso nie geliebt. Schweigen beraubte sie der strengen Entschiedenheit, die ihre schwarze Gier gebändigt halten konnte. Macht! Sie umklammerte das Holz wie einen Dolch und wiederholte jene Entscheidung, die ihr Leben bestimmt hatte. Ceer nahm die Faust zu langsam von seinem Bauch, um sie hindern zu können. Linden riß beide Arme hoch, um ihm die Speerspitze durch die Kehle zu rammen.
    Cail trat nach ihr. Sein Fuß traf ihren rechten Oberarm, dessen schmerzhafte Stelle, so daß der Stich fehlging, Linden hintenüberfiel wie eine ausgerastete Schaufensterpuppe. Der Aufprall am steinernen Boden betäubte sie. Einen Moment lang blieb sie außerstande zum Atemholen. Wie ihre Mutter. Alles schien sich um ihren Kopf zu drehen, als wäre sie an den Himmel geschleudert worden. Von der Schulter bis in die Fingerkuppen durchdrang Gefühllosigkeit ihren Arm. Schluchzen erfüllte ihr Bewußtsein. Für ihr Gehör jedoch klang der Kummer wie das heftige Jammern von Tieren. Die Hustin hatten ein einmütiges Geheul angestimmt – Ausdruck eines gemeinschaftlichen Verlusts durch viele Kehlen. Der Kampf war zum Erliegen gekommen.
    »Hat sie ...?« keuchte die Erste, die angestrengt um Atem rang.
    Einige Wächter liefen über die Mauerkrone in die Richtung der Sandbastei. Andere schlurften wie Krüppel zu den nächsten Treppen des Sandwalls. Keiner von ihnen erinnerte sich überhaupt noch an die Anwesenheit der Gefährten.
    »Nein«, gab Cail in gleichgültigem Ton zur Antwort. »Die Speerwunde in seinem Leib ist's, die ihm das Leben kostet.« Seine Stimme schloß jede Verzeihung aus.
    Linden spürte, wie Ceers Körpergewicht von ihren Beinen verschwand. Sie wußte nicht, was sie sagte, als sie den Mund öffnete; nur entfernt war sie sich dessen bewußt, daß ihre Lippen Wörter aussprachen. »Du hast mich ja sowieso nie geliebt.«
    Cail zerrte sie auf die Füße. Im Mondlicht drückte seine Miene nichts

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