Der einsame Baum - Covenant 05
um Atem ringen mußte, hielt sie sich wacker. »Von jenem Augenblick an, da ich den Wunsch verspürte, Kasreyn für meine Erniedrigung büßen zu lassen, haben all meine Entschlüsse allein mißliche Frucht getragen. Wir sind bei weitem zu früh entdeckt worden.«
»Riesenfreund Covenant wird die Vergeltung üben, nach der's dich verlangt«, entgegnete die Erste geknurrt. Sie schaute in den Süden. Dort hatten sich wie zur Antwort auf den Alarmruf dunkle, gedrungene Gestalten zu zeigen begonnen; aus den Gängen im Innern des Sandwalls kamen Hustin auf die Mauerkrone. »Was alles andere anbetrifft, so sei ohne Furcht.« Ihre Fäuste gaben ihrer Kühnheit Halt an ihrem neuen Schwert. »Wir sind frei inmitten der Nacht, und der Weg liegt deutlich vor uns. Wir werden leben oder sterben, wie's sich begeben mag, ohne daß dich eine Schuld trifft.«
Wie ein Schimmern von Eisen schritt sie im Mondschein den Ausläufer des Sandwalls entlang, der in die Richtung nach Bhrathairain und des Hafens verlief. Der Rest der Gruppe folgte, als wäre die Schwertkämpferin so sicher verläßlich wie das ewige Branden der See.
Nun konnte man auch Dutzende und immer weitere Dutzende von Hustin erkennen, die hinter den Gefährten die Verfolgung aufnahmen. Auf dem hellen Stein des Sandwalls wirkten ihre Gestalten düster und bedrohlich. Aber sie waren mit Vorrangigkeit von Stärke geschaffen worden, nicht Schnelligkeit; und es gelang den Gefährten, in beträchtlichem Abstand von ihnen zu bleiben.
Für kurze Zeit gewann das Kind in Linden einen Anschein von Normalität in seinem Dasein zurück, während sein Leben nach dem Tod des Vaters neue Wege ging. Maskiert mit der Widerstandsfähigkeit der Jugend, hatte sich Linden in die Veränderungen geschickt, als wäre ihre Persönlichkeit durch das, was geschehen war, nicht bis ins Mark beeinflußt und verformt worden. Doch die anhaltende Selbstbemitleidung und die Vorwürfe ihrer Mutter zermürbten sie, wie Wasser langsam Stein erodierte. Während sie so tat, als stünde sie über allem, hatte sie die Grundfesten all ihrer späteren Vorspiegelungen, ihres Leugnens gelegt. Selbst daß sie sich die Bürde von Leben und Tod auflud, die Ärzte zu tragen hatten, hatte dieses Vorgehen den Charakter einer Verneinung statt einer Bejahung gehabt.
Covenant war fort. Lindens Sinne funktionierten normal, aber Linden war sich nicht dessen bewußt, daß sie dabei war, allmählich aus der Leere zu sich selbst zurückzufinden, in die ihre Bemühungen, Covenant zu retten, sie gestürzt hatten, in der sie nun allein war und verschollen. Die Gefährten näherten sich jenem Abschnitt des Sandwalls, der den westlichen Vorhof zwischen Bhrathairain und der Sandbastei umschloß. Und aus derselben Richtung stürmten Hustin wie eine dunkle Flut über die Mauerkrone heran. Inzwischen war das Verbindungsstück zwischen innerer und äußerer Mauer von Wachen abgeriegelt.
Die Erste tat noch ein paar Schritte vorwärts, verringerte den Abstand zwischen den Gefährten und dem Weg, den sie zum Hafen von Bhrathairain zu nehmen beabsichtigten, noch um ein kurzes Stück; dann blieb sie stehen, um der Gruppe eine Verschnaufpause und die Möglichkeit zu geben, sich auf den bevorstehenden Kampf einzustellen.
Die Wachen kamen rasch näher. Außer dem Geräusch ihrer Füße war von ihnen nichts zu hören. Sie waren nach dem Willen des Wesirs gezüchtete Geschöpfe, denen sogar die Befähigung zu unabhängiger Blutgier oder zum Triumph ermangelte. Die Mauerkrone des Sandwalls befand sich in gleicher Höhe mit dem Oberrand des Ersten Runds; doch die Sandbastei türmte sich noch vier Stockwerke höher zu den Sternen auf, verdunkelte auf ihrer Seite das Firmament. Ganz oben forderte die Wesirswacht den Himmel heraus. Die Sandbastei wirkte unfaßbar hoch und schien sich durch die Unentrinnbarkeit eines verhängnisvollen Schicksals auszuzeichnen. Keine Flucht, so ließ sich meinen, konnte weit genug sein, um sich dem Fernblick des kolossalen Hochbaus zu entziehen. Kasreyns Gier nach Ewigkeit stand geschrieben, wo jedes Auge sie zu sehen vermochte.
Aus dem Stein der Wesirswacht empfingen Lindens Sinne andeutungsweise Eindrücke von weißem Feuer. Sie wirkten auf sie wie erste Anzeichen von Krebs, der Krankheit, die ihre Mutter befallen hatte. Die Sirenen heulten wie das Entsetzen ihrer Mutter.
Mit ausdrucksloser Stimme bat Ceer den stummen Riesen, ihn auf die Mauerkrone zu lassen, damit er Seeträumer nicht im zu erwartenden Kampf
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