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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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machen, nicht ertappt zu werden. Ihre Augen hatten kaum gesehen, was sie tat, als sie die Sauerstoffschläuche von den Nasenlöchern ihrer Mutter löste. Die Finsternis in ihr hatte zu frohlocken begonnen; sie lachte angesichts der Aussicht aufs Genährtwerden wie in Lust. Tod war Macht. Macht . Die Möglichkeit, Vorwürfe jenen, die sie aussprachen, ins Maul zurückzustopfen. Bist du nicht schlecht? Während sie die Tränen vergoß, die sie ihr gesamtes späteres Leben hindurch verfolgt hatten, nie verziehen werden konnten, stieß sie ein Gewebetuch nach dem anderen in den Mund ihrer Mutter. »Da schaute sie mich endlich an.« Covenant war nur eine verschwommene Gestalt in Lindens Blickfeld; doch sie fühlte von ihm einen Schmerz ausgehen, als würden ihre Worte ihn zerbrechen. »Sie hat versucht, mich zu hindern. Aber sie hatte keine Kraft. Sie konnte nicht das eigene Gewicht genug anheben, um mich zu hindern. Dann war's vorbei. Ich brauchte den Gestank nicht mehr einzuatmen.« Linden zitterte nicht länger. Irgend etwas in ihrem Innern hatte von ihr Abschied genommen. »Als ich sicher sein durfte, daß sie tot war, habe ich weitergemacht, als hätte ich vorher haargenau geplant, was ich tun mußte. Ich habe ihr die Tücher aus dem Mund entfernt und in der Toilette weggespült ... die Sauerstoffschläuche wieder in die Nase geschoben. Dann bin ich zu den Schwestern gegangen und habe gesagt, ich glaubte, meine Mutter hätte zu atmen aufgehört.« Unter Lindens Füßen schwankte das Deck; fast wäre sie gestürzt. Doch die Sternfahrers Schatz richtete sich auf, brachte auch Linden zurück ins Gleichgewicht. Ihre Augen fühlten sich so wund an wie der rechte Arm, in dem Feuer von der Schulter abwärts zu strömen schien, die Nerven versengte, bis sie in der Taubheit unterhalb des Ellbogens verschwanden. Covenants Emanationen waren jetzt so eindringlicher Natur, daß sie dafür nicht blind bleiben konnte. Er musterte sie in beklommenem Erkennen, als wären er und das Riesen-Schiff zwei verkrüppelte alte Kameraden. Durch ihre Tränen erkannte sie, daß sogar seine Lepra und das Gift ihr soviel bedeuteten wie wertvolle menschliche Eigenschaften. Sie waren die Fehler, die Schwächen, die ihn so aufrichtig und begehrenswert machten. Er wollte ihr etwas entgegnen – oder entgegenschleudern –, aber er sah, sie war noch nicht fertig. »Ich habe ihr gegeben, was sie wünschte. Gott konnte nichts anderes tun, als sie leiden lassen, aber ich habe ihr zu dem verholfen, was sie herbeisehnte. Das war schlecht von mir.« Covenant versuchte zu widersprechen, als empfände er mehr Kummer, als sie sich jemals welchen zu empfinden gestattet hatte. Doch sie unterbrach ihn. »Deshalb wollte ich nie an das Böse glauben. Ich habe mich dagegen gewehrt, mich unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Und ich mochte deine Geheimnisse nicht erfahren, um dir nicht meine erzählen zu müssen. Aber es stimmt, es war schlecht. Ich habe ihr das Leben genommen. Und damit die Chance, selber eine Antwort zu finden. Die Chance, daß irgendein Wunder geschehen könnte. Ich habe sie ihrer Menschenwürde beraubt.« Niemals würde sie das verwinden können. In der ganzen Welt konnte es keine Buße für das geben, was sie getan hatte. »Durch mich war Grauen das letzte, was sie in ihrem Leben empfunden hat.«
    »Nein.« Covenant hatte fortwährend versucht, ihr ins Wort zu fallen. »Linden. Laß das! Mach dir nicht solche Selbstvorwürfe!« Gram verlieh ihm ein verhärmtes Aussehen. Jeder Umriß seiner Erscheinung lief auf einen Appell hinaus, den er Linden über den Stein des Decks hinweg zukommen ließ. »Du warst noch ein Kind. Du hast nicht gewußt, was du anderes tun sollst. Damit stehst du nicht allein da. Wir alle haben Lord Foul in uns.« Er strahlte die Betroffenheit aus, die Leprotiker allen Verwundeten und Beraubten entgegenzubringen pflegten. »Und du hast mich gerettet. Du hast uns allesamt gerettet.«
    Linden schüttelte den Kopf. »Ich habe dich besessen. Du hast dich selber gerettet.« Sie hatte geduldet, daß die Elohim ihm Geist und Willen nahmen, bis nichts von ihm übriggeblieben war als die entmutigende, haltlose Litanei seiner Lepra. Im Namen seiner Hingabe an das Land, seiner Entschlossenheit, gegen den Verächter zu kämpfen, hatte er sich auch diese Bürde aufgeladen. Und sie hatte sich selbst vollständig aufgegeben, sich den ärgsten Schrecken ihrer Vergangenheit gestellt, um ihn aus seinem Zustand zurückzuholen. Aber sie sah

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