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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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nichts anderes mehr, als dazuliegen und zu warten, bis sie starb.« Unwillkürlich fing sie an zu keuchen, als sie sich des letzten Monats ihrer Mutter entsann, wie wenn sie zu verdeutlichen beabsichtigte, auf welche Weise die dickliche Flüssigkeit, die sie mit langsamem Ersticken ausfüllte, die Todgeweihte zum Röcheln gebracht hatte. Als wären die einzigen Teile von ihr, die noch lebten, ihre Atmung und die Stimme, so hatte sie auf dem Krankenbett ausgestreckt gelegen. Schwartige Falten und Massen von Fleisch sackten auf die Matratze, als wären sie von den Knochen abgetrennt worden. Ihre Glieder ruhten reglos und nutzlos auf dem Laken. Doch jeder Atemzug kam einer gequält gezischelten Beschwörung des Todes gleich. Und ihre Stimme krächzte in unaufhörlichem Schelten über die Sünden ihrer Tochter. Sie versuchte keineswegs, ihre Tochter für die Kirche zu gewinnen. Inzwischen war es dahin gekommen, daß sie auf die Ablehnung, die Linden der Kirche entgegenbrachte, angewiesen war, davon abhängig. Ihr Gezeter darüber war ihre einzige Antwort aufs Entsetzen. Wie sonst hätte sie sicher sein können, daß sie einen Anspruch auf Gottes Liebe besaß? »Damals war's Sommer.« Die Erinnerungen hatten Linden vollständig unter ihrem Bann. Sie nahm kaum noch das Riesen-Schiff wahr, den von Wolken verhangenen Himmel, der düster wirkte wie in Trauer. »Ich hatte keine Schule. Woanders konnte ich nicht hin. Und sie war meine Mutter.« Ihre Worte vermochten nichts vom Kummer eines fünfzehnjährigen Mädchens zu vermitteln. »Sie war alles, was mir geblieben war. Abends haben die Leute von der Kirche für mich gesorgt. Tagsüber jedoch hatte ich nichts anderes zu tun, als bei meiner Mutter zu sein. Einen Monat habe ich bei ihr verbracht. Mir ihr Geschluchze und Gestöhn angehört, als wär's meine Schuld. Die Ärzte und Krankenschwestern gaben um nichts etwas. Sie verabreichten ihr Medikamente und Sauerstoff, und zweimal am Tag säuberten sie sie. Aber darüber hinaus wußten sie nichts mit ihr anzufangen. Sie ließen darüber erst gar keine Gedanken aufkommen. Ich war mit ihr ganz allein. Mußte mir anhören, wie sie mich mit Vorwürfen überhäufte. Das war ihre Art, mich anzuflehen. Die Schwestern dachten vermutlich, ich wollte helfen. Oder sie konnten es selbst nicht länger mitansehen. Sie gaben mir was zu tun. Sie gaben mir haufenweise Schachteln mit Tüchlein und sagten mir, ich solle sie abwischen, wenn's nötig sei. Den Schweiß. Und den Schleim, der ihr aus dem Mund rann, obwohl sie nicht mal die Kraft zum Husten hatte. Ich mußte dicht neben ihr sitzen. Unter ihrem ganzen Gewicht war sie bloß ein Skelett. Und ihr Atem ... Die Flüssigkeit in ihren Lungen faulte. Es war dermaßen schlimm, daß mir ständig übel war.« Ein Gestank wie der faulige Geruch des Alten, dem sie vor der Haven Farm das Leben gerettet hatte. »Die Schwestern brachten mir Essen für sie, aber ich hab's die Toilette runtergespült.« Bleib getreu! »Sie machte mich nicht anschauen. Ich konnte sie nicht dazu bringen, mich anzusehen. Wenn ich's versuchte, kniff sie die Augen zu und winselte nur weiter.« Lieber Gott, bitte laß mich sterben! Und nach einem Monat hatte das Mädchen jenes geschwächte Leben in die eigenen Hände genommen. Leid, Kränkung und Schuldgefühle hatten Linden gründlicher gezeichnet als Ceers ganzes Blut, sie mit tieferer Wirkung befleckt, sie grundlegender erschüttert. Sie hatte Macht gebraucht, um irgendeine Maßnahme ergreifen, irgendeinen Schutz errichten zu können; und weil es ihrem Verstand an Kraft fehlte, erhob in ihr die finstere Gier ihr Haupt, die sie mit dem Tod ihres Vaters geerbt hatte. Du hast mich ja sowieso nie geliebt. Schwoll von den Dielen des Dachbodens empor, quoll wie Haß gegen alles Leben aus dem boshaft verzerrten Mund ihres Vaters. Seinem Mund, der sich aus Schmerz oder Liebe hätte öffnen sollen. Als Linden vor ihrer Mutter stand, fuhr die Schwärze auf wie das Antlitz eines Alptraums, hatte in voller Stärke, aller Genauigkeit und gänzlich unanfechtbar nicht ihren Geist, sondern ihre Hände ausgefüllt, so daß ihr Körper wußte, was sie vorhatte, während ihr Hirn nur zuschauen und dazu ein stummes Geheul ausstoßen konnte, nicht verhindern, keine Kontrolle ausüben, nicht einmal noch entscheiden. Sie hatte heftig geweint, aber ohne einen Laut, hatte es nicht gewagt, nur ein Schluchzen durch ihre zusammengebissenen Zähne dringen zu lassen, um nicht die Schwestern aufmerksam zu

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