Der einsame Baum - Covenant 05
Grenze des Fieberhaften regelrecht nach dem Einholzbaum zu lechzen. Wenn auch nicht körperlich, so hatte er sich doch auf jeden Fall emotionell von ihr zurückgezogen. Das Ausscheiden der Haruchai aus den gemeinsamen Bestrebungen hatte ihn in eine starre Abwehrhaltung getrieben. Wenn er sprach, hatte seine Stimme einen rohen Unterton, den er anscheinend nicht aus ihr fernhalten konnte; und seine Augen warfen Widerspiegelungen von Blutvergießen zurück. Linden sah seinem Gesicht an, daß er an die Sonnengefolgschaft dachte, an Menschen, die man abschlachtete, um das Sonnenfeuer zu nähren, an Selbstmißtrauen, an Macht und Gift, über die er keine Gewalt besaß. Bisweilen machte die Erinnerung an Schweigen seinen Blick leer. Selbst bei der Liebe war er sonderbar vehement, als glaube er trotz ihrer Umarmungen, sie bereits verloren zu haben.
Linden vergaß nicht, konnte nicht vergessen, daß er sie dem eigenen Leben wiederzugeben beabsichtigte. Er wollte aus eigenen Beweggründen zum Einholzbaum, er hoffte, durch ihn die Möglichkeit zu erhalten, mit etwas anderem als Feuer und Vernichtung gegen Lord Foul kämpfen zu können. Aber er wollte auch ihretwegen hin; um sie in ihre Welt zurückzuschicken.
Linden war dabei alles andere als wohl zumute; ihr grauste vor dem Einholzbaum. Seeträumers stumme, unerreichbare Marter schmerzte in ihr wie eine offene Wunde. Sobald er in die Reichweite ihrer Sinne gelangte, fühlte sie ihn, als blute er innerlich. Manchmal konnte sie sich kaum noch daran hindern, Covenant und die Erste – jeden, der ihr zuzuhören bereit war – zu drängen, sie sollten die Suche aufgeben, den Baum vergessen, wieder das Land aufsuchen, um mit den Waffen und Mitteln gegen das Sonnenübel zu kämpfen, die verfügbar waren, und sich mit dem Resultat abzufinden. Sie glaubte, daß Seeträumer genau wußte, was Lord Foul tat. Und sie mochte gar nicht in ihre Welt zurückgeschickt werden.
Eines Nachts, als Covenant endlich in einen von Alpträumen freien Schlaf gesunken war, verließ Linden noch spät seine Seite und begab sich an Deck. Sie trug ihr wollenes Gewand. Obwohl die Luft im Verlauf der vergangenen Tage merklich kühler geworden war, scheute sie es, auf ihre alten Kleidungsstücke zurückzugreifen, als stünden sie für Bemühungen und Fehlschläge, an die sie sich nicht mehr zu erinnern wünschte. Als sie das Achterdeck betrat, sah sie die Sternfahrers Schatz unter einem Mond, der schon das letzte Viertel durchlief, unbeirrbar vorm Wind liegen. Bald würden nur noch das ungewisse Licht der Sterne und der Schein einiger Laternen Dromond und Dunkelheit voneinander unterscheidbar machen. Doch zumindest für diese Nacht leuchtete noch eine helle Sichel am Himmel.
Vom Achterkastell rief Derbhand ihr einen gedämpften Gruß herab; aber sie ging nicht zu ihm. Jenseits des Winds, der langen, steinernen Seetüchtigkeit der Dromond, des Schlafs der Riesen, die keine Wache hatten, spürte sie Seeträumers Gegenwart wie eine Handvoll an ihre Wange gedrückter Pein. Linden zog das Gewand enger um ihren Körper und schlenderte nach vorn.
Sie fand den stummen Riesen vor, wie er mit dem Rücken am Fockmast saß, dem Bug und Findails Silhouette zugewandt. Die kleinen Muskeln rings um seine Augen zuckten und verkniffen sich unablässig, während er Findails Gestalt anstarrte – und durch Findail hindurch dem Einholzbaum entgegen –, als flehe er den Ernannten wortlos an, die Dinge zu sagen, die er, Seeträumer, nicht aussprechen konnte. Aber Findail schien allem derartigen Bitten des Riesen verschlossen zu sein. Oder vielleicht waren derlei Bittstellungen nichts als ein Teil der Bürde, die ein Ernannter zu tragen hatte. Auch er blickte den Aussichten des Einholzbaums entgegen, als fürchte er sich davor, die Augen abzuwenden.
Schweigsam nahm Linden neben Seeträumer Platz. Er saß mit überkreuzten Beinen da, die Hände im Schoß. Ab und zu drehte er die Handflächen aufwärts, als sei es seine Absicht, sich der Nacht zu öffnen, mit seinem Schicksal Frieden zu schließen. Aber wiederholt ballte er die Hände zu Fäusten, seine Schultern verkrampften sich, verwandelten ihn in eine Verkörperung des Aufbegehrens.
»Versuch's!« sagte Linden ein Weilchen später im Flüsterton. Der schmale Sichelmond erhellte nichts von seinem Gesicht, mit Ausnahme der fahlen Narbe, die seine Augen unterstrich, betonte; der Rest blieb dunkel. »Es muß einen Weg geben.« Er hob die Hände mit einer Heftigkeit, die sie
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