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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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war alles zuviel für sie. All die Dinge, die sie brauchte, drängten sie zum Aufstehen, lenkten ihre Schritte beinahe unwillentlich in die Richtung von Covenants Kabine.
    Sie hatte keine klare Vorstellung davon, was sie zu tun beabsichtigte. Aber Covenant hatte Joan vor Lord Foul gerettet. Er hatte Linden vor Marid gerettet; vor na-Mhoram-Wist Sivit; vor dem Gibbon-Wütrich; vorm Sonnenübel-Fieber und vor dem Lauerer der Sarangrave. Und doch blieb er allem Anschein nach hilflos, wenn es darauf ankam, sich selbst zu schützen. Sie mußte von ihm einige Erklärungen erhalten. Eine Darstellung, die all dem, was sie durchmachte, einen Sinn geben konnte. Und vielleicht brauchte sie eine Chance, sich zu rechtfertigen. Ihre Unzulänglichkeit hatte ihn beinahe das Leben gekostet. Sie verspürte das Bedürfnis, darin sicherzugehen, daß er sie verstand. Mit steifen Bewegungen stieg sie ins oberste Unterdeck hinab und schlug den Weg zu Covenants Kabine ein. Aber bevor sie sie erreichte, öffnete sich die Tür, und Brinn trat heraus. Er nickte ihr ausdruckslos zu. Seitlich an seinem Hals sah man die im Verheilen begriffene Verbrennung, die er durch Covenant erlitten hatte. »Der Ur-Lord wünscht mit dir zu sprechen«, sagte er. Seine angeborene Unerschütterlichkeit und Lindens verkrampfte Unsicherheit waren einander vollkommen fremd. Um ihn nicht merken zu lassen, wie Schwäche sie zu überwältigen drohte, eilte sie sofort in die Kabine. Aber drinnen blieb sie erst einmal stehen, beschämt durch die jämmerliche Zerrüttung ihrer Nerven. Covenant ruhte in der hohen Hängematte; seine Schlaffheit und die Blässe seiner Stirn waren Beweise seiner noch immer vorhandenen Mattigkeit. Doch Linden sah auf den ersten Blick, daß die Farbe seiner Haut eine Entwicklung zum Besseren anzeigte. Puls und Atmung zeichneten sich durch Gleichmäßigkeit aus. Der Sonnenschein, der durch die offene Luke fiel, spiegelte sich hell in seinen Augäpfeln. Seine Genesung schritt gut voran. In ein oder zwei Tagen würde er aufstehen können. Das Grau in seinem verwühlten Haar wirkte ausgeprägter, so daß er nun älter aussah. Das wilde Wuchern seines Barts verdeckte die wie gemeißelten Umrisse seiner Lippen und die Spannung in seinen abgehärmten Wangen nicht im geringsten.
    Für einen Moment blickten sie einander an. Dann zwang die Peinlichkeit ihres Unbehagens Linden zum Fortschauen. Sie wollte zur Hängematte gehen und in ihrer Eigenschaft als Ärztin auftreten – seinen Puls fühlen, Arm und Schienbein untersuchen, seine Temperatur schätzen –, als könnte sie sich nicht auf andere Weise über seine Verfassung Klarheit verschaffen. Aber ihre Verlegenheit hielt sie zurück. »Ich habe mich mit Brinn unterhalten«, sagte Covenant plötzlich. Seine Stimme klang brüchig; doch sie umfaßte eine beträchtliche emotionale Breite des Ärgers, Verlangens und Zweifels. »Im Erzählen sind die Haruchai besonders gut. Aber ich habe von ihm erfahren, was sich aus ihm herausholen ließ.«
    Sofort spürte Linden, wie sie sich versteifte, als müsse sie eine Feindseligkeit abwehren. »Hat er dir gesagt, daß ich dich beinahe hätte sterben lassen?« Sie erkannte die Antwort in der Verkniffenheit rings um Covenants Augen. Linden wollte es dabei bewenden lassen, aber der Druck, der nun in ihr anschwoll, erwies sich als zu stark. Was hatte Brinn ihm über sie eingeredet? Sie wußte nicht, wie sie sich dem entziehen könnte, was jetzt bevorstehen mußte. »Hat er dir erzählt«, fügte sie in harscher Strenge hinzu, »daß ich dir hätte helfen können, sofort als du gebissen worden bist? Bevor das Gift richtig zu wirken anfing? Aber daß ich's nicht getan habe?« Er machte Anstalten, sie zu unterbrechen; sie duldete es nicht. »Hat er erwähnt, daß ich's mir nur anders überlegt habe, weil die Erste auf die Idee kam, dir den Arm abzuschlagen? Dir gesagt, daß ich ...« – ihre Stimme gewann an Barschheit – »versucht habe, deinen Geist in meine Gewalt zu bringen? Und daß das es war, wodurch du dich gezwungen gefühlt hast, dich abzuschirmen, so daß wir überhaupt nicht mehr an dich rankamen? Daß man deshalb einen Nicor rufen mußte?« Unvermutete Wut schnarrte durch ihre Kehle. »Hätte ich das nicht getan, wäre Nebelhorn nicht verletzt worden. Hat er dir das erzählt?«
    Covenants Gesicht war zu einer Grimasse des Grimms oder Mitgefühls verzerrt. Als sich Linden mit einem Ruck zusammenriß, mußte er sich erst räuspern, bevor er sprechen konnte.

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