Der einsame Baum - Covenant 05
unvergleichlichem Mut, war er ins Wasser gesprungen und zum Leck getaucht, um mir mit dem eigenen Fleisch die Möglichkeit zu verschaffen, mein Werk zu verrichten. Diese Gelegenheit nahm ich wahr. In schrecklicher Hast versah ich den Bruch mit Pech und Härtestein, vermeinte so in meiner Verzweiflung und Torheit, es möchte mir gelingen, das Leck zu beseitigen, bevor Knorrigfaust der Atem ausging. Ich wähnte, wäre ich nur schnell genug, möchte er wohl zur rechten Zeit an die Luft zurückkehren.« Pechnases Stimme klang immer verpreßter, und Linden schaute ihn an. Tief in seinem Innern erlebte der Riese den damaligen Vorfall noch einmal. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Narr!« schalt er sich. Im nächsten Moment jedoch schöpfte er tief Atem und lehnte sich rücklings an die Wand des Aufbaus. »Während diese Erwartung allzu töricht war, tat ich, was zum Wohle der Dromond und meiner Gefährten getan werden mußte. Mit Pech und Härtestein behob ich das Leck. Und indem ich das tat, schmiedete ich Knorrigfaust an den Rumpf der Wellentänzer. Mein Pech faßte seine Brust mit steinernem Griffund hielt ihn fest.« Pechnase stieß ein Seufzen aus. »Riesen tauchten nach ihm. Aber sie vermochten ihn nicht vom Granit zu lösen. Er starb ihnen in den Händen. Und als die Wellentänzer endlich vollends der Gefahr entrann und in klarem Wetter segelte, so daß man mit geringerem Wagnis tauchen konnte, hatten die Fische der See ihn seines Fleischs bis aufs Gebein entledigt.« Mühselig wandte er sich Linden zu, ließ sie den Kummer sehen, der in seinem Blick lag. »Ich will dir nicht verheimlichen, daß ich mich überaus schuldig an Bonke Knorrigfausts Tod fühlte. Du bist mir über, denn du hast Nebelhorn gerettet und auch Riesenfreund Covenant nicht umkommen lassen. Für eine Frist, die weit übers Ende dieser Fahrt der Wellentänzer hinaus währte, konnte ich's nicht ertragen, den Gram des Verlusts in Glanzlichts Gebaren mitanzusehen.« Langsam entkrampfte sich sein Gesichtsausdruck wieder. »Und doch erwuchs aus dem Samen von ihres Vaters Tod und meiner Teilhabe an seinem Ableben seltsame Frucht. Nach ihrer vollständigen Verwaisung nahm ich in ihren Augen einen besonderen Platz ein – denn hatten ihr Vater und ich nicht gemeinsam die Errettung vieler Riesen bewirkt, denen ihre Zuneigung galt? So betrachtete sie mich von da an nicht so, wie ich mich sah – als Krüppel, der mit Schuld beladen war –, sondern als den Mann, der ihres Vaters Tod einen Sinn verliehen hatte. Und unter ihren Augen lernte ich meine Schuld zu überwinden. Indem sie ihren Vater verlor, ging sie auch seiner Sehnsucht nach dem Salz der See verlustig. Daher wandte sie der Seefahrt den Rücken. Nichtsdestotrotz stak noch Strebsamkeit in ihr, geboren aus dem herzenstiefen Raub, den das Schicksal an ihr begangen hatte, denn wenn der Geist nicht gänzlich stirbt, so lehren schwere Verluste Männer wie Weiber starkes Verlangen, sowohl für sich wie auch für andere. Und ihr Geist starb nicht, wenngleich ihr Sinn sich verdüsterte und seither bisweilen zum Launischen neigt, so daß sie von unserem Volk abhebt wie Eisen von Stein.« Pechnase musterte Linden nun eindringlich, als wäre er unsicher in bezug auf ihre Fähigkeit, zu begreifen, was er äußerte. »Sie richtete ihr Verlangen auf die Kunst des Schwertkämpfens.« Sein Ton war ernst, aber er konnte nicht ein Lächeln in seinen Augen verbergen. »Und auf mich.«
Linden stellte fest, daß sie der vielschichtigen Aufmerksamkeit seines Blicks nicht standzuhalten vermochte. Vielleicht hörte sie wirklich nicht richtig und verstand den Grund nicht, aus dem er ihr die Geschichte erzählt hatte. Aber was sie gehört hatte, machte sie tief betroffen. Die selbstmörderische Tat Knorrigfausts kontrastierte auf schmerzliche Weise mit ihren eigenen Erfahrungen. Und er warf schroffes Licht auf die Unterschiede zwischen der Ersten und ihr – zwei Töchter, die Tod verschiedener Art geerbt hatten. Darüber hinaus verwandelte Pechnases Bereitschaft, seine Vergangenheit ehrlich und offen zu betrachten, die Heimlichkeiten von Lindens Lebensgeschichte in eine Schande. Wie er besaß sie Erinnerungen an Verzweiflung und Narrheit. Doch er war dazu imstande, sich zu erinnern und damit zurechtzukommen, zudem mit mehr Würde, als sie sich in ihrem Fall ausmalen konnte. Ihre Erinnerungen waren noch immer zu mächtig ... Pechnase wartete darauf, daß sie etwas sagen würde. Aber sie war dazu nicht fähig. Es
Weitere Kostenlose Bücher