Der Einzelgänger
Sein Ehrgefühl, dieses normalerweise völlig bescheuerte Macho-Gehabe der Latinos, wird ihn das nicht vergessen lassen. Bei Paco habe ich also Kredit - zumindest so viel, daß er mit mir reden wird -, und ich beherrsche das ›Lavieren‹ (Lone Star-Ausdruck für ›Lügen wie gedruckt) so gut, daß ich ihn wahrscheinlich dazu bringen kann, sich das ganze Märchen anzuhören, daß ich ihm auftischen werde.
Hinzu kommt, ich weiß, daß er ein eigenes Mobiltelefon hat, und ich habe seine Nummer.
Natürlich habe ich mein Mobiltelefon nicht bei mir. Was auch verdammt gut so ist, weil in jedes Mobiltelefon ein Detektor eingebaut ist. Woher sonst, glauben Sie, weiß das Funknetz, welche Transmitter die Anrufe weiterleiten sollen, hm? Jedesmal, wenn das Telefon einen neuen Transmitter anspricht, weiß das System auf ein paar Quadratkilometer genau, wo man sich gerade aufhält. Außerdem habe ich gehört, daß sich dieser Spielraum durch ein paar Software-Verbesserun-gen im Transmittersystem noch viel weiter einengen läßt. (Sicher, das ist echt hochkalibrige Technomantie, über die wir hier reden, nämlich ins Transmitternetz einzubrechen. Der Star kann es - Drek, er tut es regelmäßig -, aber ich glaube nicht, daß die Cutters über die Mittel dazu verfügen, obwohl ich nicht bereit bin, mein Leben darauf zu verwetten.) Also befindet sich mein Mobiltelefon noch in meiner Bude im Wenonah, aber nur, weil ich in meiner Eile vergessen habe, es mitzunehmen.
Ich werfe einen Blick auf das nächste grüne Highway-Schild. Ich bin direkt vor der nächsten Ausfahrt -Zweiundsiebzigste Straße Süd in Tacoma - und fahre viel zu schnell. Dann rausche ich nach Osten durch das Billigwohnviertel von Tacoma - das immer noch um Klassen besser ist als das verdammte Ravenna, das kann ich Ihnen sagen - und halte nach einer Telefonzelle Ausschau.
Bei Paco klingelt es und klingelt es, und mir bleibt nichts weiter zu tun, als »Mach schon, mach schon, mach schon« vor mich hinzumurmeln wie irgendein verdammtes Mantra. Die Telefonzelle ist undicht, aber zumindest sind alle Teile des Telefons noch dort, wo sie auch sein sollten, ein weiterer Unterschied zwischen Ravenna und diesem Teil von Tacoma. Um meine grassierende Paranoia zu beschwichtigen, habe ich ein Kaugummi auf die Linse der Videokamera geklebt, (ja, ja, ich weiß: Paco hat ein tragbares Mobiltelefon ohne Bildschirm, also was soll der Aufwand? Das will ich Ihnen sagen: Ich weiß nicht, was mit dem Videosignal des Telefons passiert, wenn eine Einheit ohne Bildschirm angerufen wird. Vielleicht löst es sich einfach in nichts auf, nur ein weiterer Datenstrom, der in den Mülleimer wandert. Aber vielleicht, nur vielleicht, bleibt es irgendwo im System und ist für jemanden zugänglich, der sich mit einem Bildschirmtelefon in den Anruf einschaltet. Und vielleicht gibt es irgendwas auf dem Videobild, wodurch dieser Jemand meinen Aufenthaltsort schneller herausfindet, als er den Anruf zurückverfolgen kann. Ja, ich weiß, ich bin ein paranoider Schwachkopf, und ich gebe es mit Freuden zu. Aber ich bin ein lebendiger paranoider Schwachkopf, und so soll es auch bleiben.)
Es klingelt ein dutzendmal, fünfzehnmal, und ich will gerade die Verbindung unterbrechen, als es klickt und ich Pacos schlaftrunkene Stimme höre. (Ach ja, es ist noch vor 0400 morgens.) »Scheißwas'n los?«
»Paco«, sage ich durch das Stück Stoff, das ich von meinem Hemd abgerissen habe. (Das reicht nicht, um ein Stimmenerkennungssystem zum Narren zu halten, aber es ist besser als gar nichts.) »Paco, spring auf!« Das habe ich ihm und den anderen in dem Lagerhaus zugerufen, als ich den Bulldog anließ, um vor dem Lone Star-Einsatzkommando zu flüchten. Ich hoffe, er erinnert sich noch daran und schaltet.
Er springt darauf an wie ein Bluthund. »Fahr los, 'mano«, erwidert er schon mit klarerer Stimme. »Gib mir zwei Minuten, okay? Ruf zurück.« Ein Klicken, und er ist nicht mehr in der Leitung. Sucht nach einem ruhigen Plätzchen zum Telefonieren, wenn mich mein Glück nicht im Stich läßt. Sucht Blake oder Box, wenn doch. Ich starre auf meine Armbanduhr und spüre, wie mir der Regen aus meinen Haaren in den Nacken tröpfelt.
Exakt hundertzwanzig Sekunden später wähle ich die Nummer noch einmal. Er meldet sich beim ersten Klingeln. »Du bist heiß, 'mano«, sagt er ohne Vorrede. »Brandheiß, novaheiß. Was, zum Teufel, hast du getan? Blakes Braut gebumst?«
Ich spüre wieder ein Frösteln im Rücken, und es
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