Der Einzelgänger
Umgebung hämmern gerade ein Dutzend oder noch mehr Finger die Nummer 911 in die Tasten ihres Telekoms und rufen meinen Verein.
Drek, und dabei mochte ich das Wenonah eigentlich ganz gerne.
Die Zeit ist mein Feind, das weiß ich. Lone Star fährt in der Ravenna-Gegend nicht regelmäßig Streife, aber es gibt Streifen. Vielleicht ist der nächste Streifenwagen nur ein paar Blocks entfernt. Schlimmer, das Killerkommando kann draußen Rückendeckung haben, und wenn ja, hat diese die Schüsse zweifellos mitbekommen und stürmt wahrscheinlich gerade die Treppe zum ersten Stock hinauf. Und wenn das noch nicht reicht, irgendwann wird jemand - möglicherweise mit einer unangenehmen Überraschung im Anschlag - seine Wohnungstür öffnen, um nachzusehen, was, zum Henker, eigentlich los ist. Ich muß machen, daß ich wegkomme - sofort.
Wieder im Schlafzimmer, setze ich mich aufs Bett und ziehe mir die Stiefel an. Schnappe mir meine Lederjacke, die auf dem Boden liegt...
Drek, fast hätte ich meine Brieftasche mit den Kred-stäben vergessen, darunter auch ein ganz besonderer, der, wenn ich den richtigen Code eingebe, Zugang zu der Notreserve hat, die der Star für mich eingerichtet hat. (Was von entscheidender Bedeutung ist. Meine persönlichen Konten sind praktisch so gut wie leer, wie es meiner Tarnung entspricht.) Ins Wohnzimmer, dann durch das Schlachthaus draußen. Ich bewege mich rasch, aber geschmeidig. Niemals rennen, wenn man es nicht vermeiden kann. Man stolpert nicht so leicht und kriegt auch eher mit, was um einen herum vorgeht. An den ersten drei Leichen vorbei und über die Magierin mit den Kopfschüssen hinweg...
Dann bleibe ich wie angewurzelt stehen. Dem Kopf der Magierin fehlt zwar die Schädeldecke, aber ihr Gesieht ist noch einigermaßen kenntlich. Ich erkenne es, und dieses Erkennen dreht ein Messer der Furcht in meinen Eingeweiden herum.
Es ist Maria, die Schlangenschamanin, die in meinem Team war, als wir das Depot der Eighty-Eights überfallen haben. Ganz tief drinnen weiß ich bereits, was mich erwartet, als ich mir ansehe, was von den anderen Gesichtern noch übrig ist. Ich erkenne sie alle, jedes einzelne.
Es sind Cutters.
9
Der Motor meiner Harley Scorpion heult mir die Ohren voll, während sich die Leuchtanzeige des Tachos immer weiter nach oben reckt. Wind und Regen peitschen mir ins Gesicht, und aus meinem klatschnassen Haar laufen mir kalte Rinnsale den Rücken herunter. Es ist kalt, aber die Kälte ist nichts im Vergleich zu dem eisigen Gefühl, daß sich in meinem Rückgrat ausbreitet. Ich umklammere den Lenker so fest, daß meine Unterarme schmerzen. Nur so kann ich das Zittern in meinen Händen unterdrücken.
Die Scorpion jault durch die Nacht nach Süden auf den Highway 5, und dort erreicht das schwere Motorrad rasch seine Höchstgeschwindigkeit von hundertsechzig. Nicht, daß ich an einen bestimmten Ort fahre -oder weiß, wohin ich fahre es ist nur so, daß ich nachdenken muß, und ich kann besser denken, wenn ich unterwegs bin, vorzugsweise mit einem leistungsstarken Motorrad. Es war schon immer so, auch als ich noch ein Kind war und noch in Lake Geneva wohnte, bevor meine Familie die fünfzig Kilometer nach Norden in die Stadt zog. Ich wollte ein Cross-Motorrad, doch meine Eltern wollten davon nichts wissen. Statt dessen kauften sie mir einen Bombardier WaveRunner aus fünfter Hand, einen düsengetriebenen Wasserschlitten, der wie eine Kreuzung zwischen einem Schneemobil und einem Kleinboot aussah.
Zuerst verzog ich das Gesicht, aber nachdem ich mit der Kiste auf dem See war und Gas gab, fühlte ich mich wie zu Hause. Meine Eltern zogen den ›Wasserhobel‹ einem Motorrad mit der Begründung vor, daß Wasser weicher als Asphalt sei, falls ich eine Bauchlandung machte. Offensichtlich war ihnen nicht klar, daß bei den Geschwindigkeiten, die ein WaveRunner bei Vollgas erreicht, Wasser ungefähr noch so weich wie Beton ist. Ich bewies das eines Tages bei einem spontanen Rennen mit einem Nachbarn, der ebenfalls einen Wave-Runner hatte, als ich über das Kielwasser eines Wasserski-Boots fuhr, abhob, bei der Landung ins Wasser geschleudert wurde und mir an drei Stellen das Bein brach - und noch dazu den Kiel des Wasserhobels. Meine Eltern ließen mich zusammenflicken, aber sie verboten mir kategorisch, etwas anderes zu tun, als den WaveRunner auf dem Schrottplatz zu verkaufen.
Ich schüttle die Erinnerungen mit einem gemurmelten Fluch ab. Drek, aber es ist verlockend, vor sich hin
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