Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
ersten Mal seit Monaten. Ich bin zu Alba gegangen, ihr Zimmer riecht so gut, nach unschuldigen Träumen, nach schlafendem Baby. Ich habe ihr einen Kuss gegeben und bin hinausgegangen.
Susana war im Bad. Sie hatte mein Geständnis zerrissen und ins Klo geworfen. Das Wasser spülte meine Wahrheit hinunter, als wäre es Scheiße.
Alba hört nicht auf. Wenn sie so plärrt, kann nur Susana sie trösten. Ich nicht. Ich kann sie nicht schreien lassen, nicht jetzt, wo ihre Mutter nicht mehr da ist.
44
Es war fast neun Uhr an diesem Freitagabend, und Héctor war noch im Büro, allein. Das Geständnis, das Mar schließlich unterschrieben hatte, lag auf seinem Tisch. Er fügte es der Akte bei, der endgültige Bericht fehlte noch, aber den konnte Fort aufsetzen. Trotzdem wurde er dieses unbehagliche, beunruhigende Gefühl nicht los, das ihn am Ende eines solch komplizierten Falls immer überfiel, wenn auch nicht mit solcher Macht.
Du wirst alt, Salgado, sagte er sich. Nur war ihm nicht ganz klar, ob es allein das Alter war. Er hatte gute Arbeit geleistet, und er war sich sicher, dass Mar Ródenas Amanda Bonet getötet und Sara Mahler in den Selbstmord getrieben hatte. Allerdings hatte sie in einem recht: Die beiden in Garrigàs gestorbenen jungen Männer verdienten Gerechtigkeit. Und er würde nicht eher ruhen, als bis er es geschafft hatte.
Die Nachricht legte er ebenfalls zu den Unterlagen, und er wusste nicht, ob es Wut war, Ohnmacht oder schlicht Verzweiflung, was seinen Blick trübte. Der Schmerz, der aus diesem Abschiedsbrief sprach, war mehr, als ein Mensch ertragen konnte, und er wusste, dass in seinen schlaflosen Stunden Gaspars Worte immer wiederkehren würden. Er brauchte etwas, was ihm das bisschen Glauben an die Menschheit zurückgab, oder alles war egal.
Er fragte sich, wie diese vier Personen, dem Anschein nach so normal, damit hatten leben können. Dachte daran, wie sie sich gerade jetzt fühlen mochten. Aber er konnte sich nicht in sie hineinversetzen.
Sílvia saß zu Hause auf der Couch, im Dunkeln, und sah gleichgültig den Wetterbericht, der für den Abend einen heftigen Schneefall vorhersagte. Sie hatte das Handy auf stumm geschaltet, um nicht von Césars Anrufen behelligt zu werden, auch nicht von seinen Entschuldigungen per SMS. Sie wäre ohnehin nicht in der Lage gewesen, ihm zu verzeihen. Nein, es gab kein Pardon für César Calvo, wozu auch. So wie es keine Gnade gab, für keinen von ihnen, sollte eines Tages die ganze Wahrheit herauskommen. Sie war bereit, es zu akzeptieren, damit zu leben. Am späten Nachmittag hatte ihr Bruder gesagt, dass jetzt, wo der Fall gelöst zu sein scheine, der Verkauf des Unternehmens weiter vorangetrieben werde, und süffisant merkte er auch noch an, er könne nicht garantieren, dass die neuen Eigentümer weiterhin auf sie zählen wollten. Sílvia hatte erst gar nicht geantwortet, sie war zu beschäftigt damit, für Emma ein Internat zu finden, nicht im Ausland, wie sie es mal besprochen hatten, sondern in Ávila: eine Nonnenschule für Mädchen aus besserem Hause. Ihre Tochter würde die Schule aus tiefster Seele hassen. Sie hatte sogar in dem Internat angerufen und gefragt, ob man sie ausnahmsweise während des Schuljahres aufnehmen könne. Zum Glück öffnete das Geld weiterhin Türen, und Emma würde ein neues Leben beginnen, fern von ihr, gleich Anfang Februar. Sie hatte es ihr eben erst mitgeteilt, in einem Ton, der keine Widerworte duldete.
Zumindest das Problem ist gelöst, dachte sie, aber sie war nicht in der Lage, all die anderen anzugehen. Sie legte die Füße hoch, den Kopf auf die Armlehne, und starrte auf den Fernseher, der Bilder vergangener Schneefälle zeigte. Genervt schloss sie die Augen. Als Nächstes bemerkte sie eine Hand, die sie an den Haaren packte, und eine raue Stimme, anders als die, die sie von ihrer Tochter kannte. Sie flüsterte ihr ins Ohr: »Wenn du glaubst, ich gehe in dieses Kloster, dann bist du verrückt, du mieses Stück.« Sílvia unterdrückteein schmerzliches Schluchzen und sah, wie Emma lächelnd und so leise, wie sie gekommen war, wieder ging.
Sie blieb dort liegen, zusammengekauert, zitternd jetzt, mehr aus Angst als vor Wut. Wenn nicht der Schmerz gewesen wäre, hätte sie gedacht, es wäre ein Albtraum. Aber nein, es war die Wirklichkeit. So wirklich wie die Musik, die in ohrenbetäubender Lautstärke aus Emmas Zimmer dröhnte. Sie wusste nicht mehr weiter, nahm ihr Handy und wählte Césars Nummer. Ihr fiel niemand
Weitere Kostenlose Bücher